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Immer ganz anders

■ Beliebte Chiffren, erstarrter Gestus: An der Berliner Volksbühne inszenierte Frank Castorf "Trainspotting"

Kommt ein Schauspieler auf die Bühne, sagt: Ich bin kein Junkie. Sagt der Zuschauer: Ich auch nicht. Vorhang. Oder ganz anders, meine Damen und Herren, ganz anders. Vier Schauspieler kommen auf die Bühne und spielen Schauspieler, die keinen Stoff haben, ihre Rollen aber so ausfüllen, als hätten sie einen, indem sie immer wieder betonen, daß sie keinen haben. Aber nein, auch so nicht, nicht wirklich.

Frank Castorf hat „Trainspotting“ inszeniert, das Stück nach dem Roman von Irvine Welsh, erinnern Sie sich an den Film von Danny Boyle? Frank Castorf hat das Stück auf der Hinterbühne der Volksbühne inszeniert, es gibt vier Darsteller, das Publikum sitzt auf einer Tribüne. Ein Stück über Drogen und Entzug, über den Morgen davor und danach, über vollgekackte Bettlaken, Arbeitslosigkeit, plötzlichen Kindstod und Jungmenschen, die wissen, daß es überall besser ist, wo sie nicht sind.

Auf vermittelte Weise fängt es geradezu sozialrealistisch an. Hendrik Arnst, Matthias Matschke und Peter René Lüdicke treten auf. Arnst im Schottenrock (wir sind in Edinburgh), Matschke mit Perücke und Anzug (eine Mischung zwischen Christoph Schlingensief und Johnny Lee Miller, dem Sick Boy im Film) und Lüdicke mit Wollmütze (es kommen härtere Tage). Sie setzen sich an den Rand der Bühne, deren Boden Peter Schubert mit Baulampen als Sternenhimmel oder Gräberfeld illuminiert hat, berlinern Texte aus dem Buch, und zwar so schnell, daß die Sprache zum Sound wird und vorbeirauscht wie der allmorgendliche Monolog der keifenden Nachbarin hinter der Schlafzimmerwand, nicht übel.

Dann kommt Kathrin Angerer dazu – weil sie sich kurz vor der Premiere den Zeh gebrochen hat, wird sie in einem Bett hereingeschoben –, und die vier beginnen, in großen Sprüngen die Junkie- Geschichte zu skizzieren. Wie das Kind verhungert ist und sie plötzlich alle fragen, wer eigentlich der Vater war, wie manche abhauen wollen, später wirklich einen Einstieg in genau das Leben versuchen, gegen das sie sich eigentlich entschieden hatten, und wie ein anderer körperlich zugrunde geht. Alles wird natürlich ständig ironisch gebrochen, durch comic-haftes Pathos, monomanisches Brüllen, einen öligen Moderatorenton oder hauseigene, pseudoprivate Extempores, wenn etwa Lüdicke plötzlich ausflippt, weil die anderen beim Spielen angeblich ein Eichhörnchen zertrampelt haben.

Dazu erklingt Lou Reed, Nico Icon flimmert vorbei, zur Drogenkultkonserve mischen sich Betroffenheitsparolen über den Nordirlandkonflikt, sie beißen in britische Fahnen, zappeln dann immer wieder lustig mit den Armen, Lüdicke sagt: „Das also ist politisches Theater“, und Matschke wirft seine Perücke weg, weil er es satt hat.

Dies ist im Detail durchaus charmant, verfratzt gleichermaßen das expressionistische wie realistische Theater, grinst über die eigene Anstrengung, und im Programmheft wird Artaud zitiert: „Entweder gibt es eine Frage oder nicht.“ Ein Theater, das vom Hölzchen aufs Stöckchen springt, von einer Metaebene auf die andere wechselt – aber überall da, wo es nicht mehr ist, auch Nester entsetzlicher Langeweile hinterläßt.

Das Theater der institutionalisierten Anarchie verweigert die Feier dessen, daß es nichts zu feiern gibt, Kunststück. Es führt die schauspielerischen Mittel ad absurdum, die es gleichzeitig aber eben doch bemüht, um sich am „Trainspotting“-Stoff abzuarbeiten. Deswegen wird anders als angekündigt (und vielleicht ja möglich) auch kein „Echtzeitexperiment“ daraus, in dem postmoderne Schauspieler mit oder ohne Stoff von ihrem eigenen Junkietum und den entsprechenden Überlebensstrategien auf der Bühne erzählen, sondern aus der Verweigerung der Geschichte von Verweigerern will die Inszenierung immer noch mehr herausklopfen, am Ende gar eine Gesellschaftskritik in beliebten Chiffren: In Anzügen stehen die ins Leben der Hypothekenraten und Waschmaschinen zurückgekehrten Jungs schließlich auf der Bühne, schälen Bananen – und siehe da, diese sind blutig.

Was natürlich abermals ironisch gemeint ist, denn Castorf arbeitet hier immer mit Netz und kommentiert nur den Kommentar des Kommentierten – abgeklärtes Bescheidwissertheater und eine mit Witzen hermetisch abgesicherte Freudlosigkeit, die in diesem Fall endgültig im eigenen Gestus erstarrt. „Ich halte nichts davon zu leben, aber ich halte noch weniger davon zu sterben“, schreibt Artaud. Der allerdings hatte keine Wahl. Petra Kohse

„Trainspotting“ nach Harry Gibson nach Irvine Welsh. Regie: Frank Castorf. Bühne: Peter Schubert. Mit: Kathrin Angerer, Hendrik Arnst, Peter René Lüdicke und Matthias Matschke. Nächste Vorstellungen am 29. 4., 9., 13. und 14. 5., Volksbühne Berlin

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