"Es fehlt der Wille zum Handeln"

■ Der thailändische Anti-Aids-Aktivist Mechai Viravaidya über die Ausbreitung des Aidsvirus HIV in Asien

taz: Welche Dimension wird Aids in Asien haben, wenn sich HIV im bisherigen Tempo weiter ausbreitet?

Mechai Viravaidya: In den nächsten fünf Jahren wird die Infektionsrate weiter steigen, weil die meisten asiatischen Regierungen nicht wirklich handeln. Die Zahl der Infizierten kann dann mit 40 bis 45 Millionen höher als in Afrika sein.

Woran mangelt die Aids-Prävention in Asien?

Den meisten Regierungen fehlt der Wille zum Handeln, obwohl sie die Probleme kennen. Manche haben nur ein kleines Aufklärungsprogramm. Andere konzentrieren sich auf Tests statt auf Prävention oder auf Ausrüstung statt auf Aufklärung.

Wie erfolgreich ist die Aids- Prävention in Thailand?

Zunächst hat die thailändische Regierung auch wie andere asiatische Regierungen reagiert. Das Problem wurde negiert und gesagt, Aids sei eine westliche Krankheit, wir würden davon nie betroffen. Doch dann wurde die reale Gefahr akzeptiert. Die Regierung war offen und ehrlich genug, um die Zahlen hochzurechnen, wenn wir nichts unternehmen würden. Der Premierminister wurde Vorsitzender des Nationalen Aids-Komitees. Im ersten Jahr wurden 50 Millionen US-Dollar für Aufklärungskampagnen zu Verfügung gestellt, in den Folgejahren jeweils 100 Millionen. Wir brachten Unternehmer und religiöse Gruppen dazu, einen Beitrag zu leisten. Im Radio und Fernsehen gibt es jede Stunde eine halbe Minute Aids-Aufklärung. Auch in Fabriken, Büros, Schulen, Massenmedien und unter Geschäftsleuten. Damit wurde Aids schnell zum Thema wie auch der Gebrauch von Kondomen. Die Ansteckungen gingen von 1991 bis 1995 um 77 Prozent zurück und sinken weiter. Zwischen 1991 und 1996 haben wir 1,6 Millionen Menschen gerettet und 4 bis 5 Milliarden Dollar gespart.

Was können andere Staaten von Thailand lernen?

Die Führer des Landes müssen politisches Engagement zeigen. Dann bedarf es finanzieller Mittel aus dem Land selbst. Wer nicht bereit ist, eigene Mittel bereitzustellen, kann nicht glaubwürdig andere um Hilfe bitten. Dann muß auch klar sein, daß Prävention nur durch Aufklärung und die Bereitstellung von Kondomen erreicht werden kann. Aids geht jeden an, nicht nur das Gesundheitspersonal, sondern auch Priester, Lehrer, die Postboten, die Bankangestellten. Jeder muß sich an der Aufklärung beteiligen.

Warum haben religiösen Organisationen in Thailand weniger Widerstand geleistet als etwa in den Philippinen oder Indonesien?

Kondome sind in Thailand akzeptiert, weil wir sie schon seit 23 Jahren propagieren. Weil es überall Kondome gibt, haben sich die Menschen daran gewöhnt. In Indonesien sind sie dagegen nicht so beliebt. Am schlimmsten ist es aber in den Philippinen, weil dort die Katholische Kirche den Gebrauch von Kondomen nicht akzeptiert. Unglücklicherweise werden viele Menschen unnötig sterben. In den Philippinen geht es nicht um Geburtenkontrolle, sondern um Todeskontrolle.

Warum ist Aids-Prävention für Entwicklungsländer so wichtig?

Die Mehrheit der Infizierten ist jung, voller Energie und in der Blüte des Lebens. Es sind die künftigen Führungskräfte, die sterben. Dann gibt es die typischen Arbeiter. Entwicklungsländer wollen durch Tourismus, Investitionen und manchmal auch durch die Entsendung von Arbeitskräften Einkommen erzielen. Bei hohen Aids-Raten werden Touristen und Investoren ausbleiben, andere Staaten wollen keine Arbeitskräfte aufnehmen. So wird Aids ein wirtschaftliches Problem.

Sie sind für ihren Humor bekannt, Aids ist aber eine traurige Sache. Welche Rolle spielt der Humor bei der Prävention?

Humor läßt die Menschen entspannen und ihre Angst verlieren. In der Aids-Aufklärung ist Vertrauen wichtig. Wenn man zusammen lachen kann, baut sich Vertrauen auf. Dann finden einen die Leute glaubwürdiger, als wenn man nur ernst ist. Es gibt richtige Momente für Humor und richtige Momente, um ernst zu sein.

Es gibt Berichte über die Entwicklung eines Impfstoffes und eines Medikamtes gegen Aids. Kann das eine Lösung sein?

Es wird an einem Impfstoff gearbeitet, wobei man von einem Erfolg noch weit entfernt ist. Außerdem wurde ein sehr teurer Medikamentencocktail entwickelt, der im Frühstadium das Virus verschwinden läßt. Es ist noch nicht sicher, ob das Virus nur versteckt oder wirklich abgestorben ist, was bisher noch nie vorgekommen ist. So gibt es nur einen Hoffnungsschimmer. Die Kosten sind aber zu hoch. Es ist wie ein Mercedes- Benz: Die Armen können ihn ansehen, aber sich nicht leisten. Interview: Sven Hansen