Mit einer Duldung im Zeugenstand

■ Die Europäische Union verabschiedet einen Aktionsplan gegen Frauenhandel. Illegale Prostituierte sollen nicht gleich abgeschoben werden. Damit soll erreicht werden, daß die Opfer ihre Zuhälter anzeigen

Den Haag (dpa/AFP) – Die Sozial- und Innenminister der Europäischen Union (EU) haben dem organisierten Frauenhandel den Kampf angesagt. Einstimmig verabschiedeten sie am Samstag in Den Haag einen entsprechenden Aktionsplan. Der Maßnahmenkatalog sieht unter anderem eine vorübergehende Aufenthaltserlaubnis für ausländische Frauen ohne gültige Papiere vor, die zur Prostitution gezwungen worden sind. Die Minister wollen damit erreichen, daß mehr Schlepper und Zuhälter von ihren Opfern angezeigt werden.

Bisher wagen das nur wenige Frauen. Der Grund: Die meisten von ihnen werden ohne ein gültiges Visum aus Osteuropa in die EU-Länder eingeschleust. Deshalb müssen sie befürchten, sofort abgeschoben zu werden, wenn sie zur Polizei gehen.

Medizinische und soziale Betreuung für die Opfer

Zurück in ihren Heimatländern, sind sie dann Racheaktionen der Verbrecherbanden hilflos ausgeliefert. Künftig sollen die Frauen wenigstens für die Dauer des Prozesses gegen die Täter geduldet werden. Zudem müßten die Opfer „medizinisch, sozial, finanziell und juristisch“ betreut werden, forderte der niederländische Sozialminister Ad Melkert. Nur so könne verhindert werden, daß sie auch weiterhin gezwungen seien, als Prostituierte zu arbeiten.

Die „Erklärung von Den Haag“ schränkt allerdings ein, daß die Aufenthaltserlaubnis mit der Gesetzgebung der einzelnen EU-Länder vereinbar sein muß. Außerdem sind die jetzt beschlossenen Richtlinien nicht bindend. Jedes Land ist selbst für die Umsetzung verantwortlich. In Deutschland bietet Nordrhein-Westfalen bisher nach eigenen Angaben als einziges Bundesland einen vierwöchigen Schutz vor Abschiebung.

Die Minister einigten sich außerdem darauf, die Rolle des europäischen Polizeiamtes Europol beim Austausch von Nachrichten über Frauenhändler weiter zu verstärken. Jedes Land soll einen eigenen Berichterstatter für Frauenhandel ernennen.

Aufklärungskampagnen für Osteuropa geplant

Während und – wenn nötig – auch nach einem Prozeß sollen die Frauen von der Polizei geschützt werden. Für die osteuropäischen Staaten planen die Minister Informationskampagnen, um die Frauen davor zu warnen, was sie im Westen erwartet.

Der niederländische Sozialminister Ad Melkert, der den Aktionsplan vorbereitet hatte, sprach nach dem dreitägigen Treffen von einem „Durchbruch“. Der Leiter von Europol, Jürgen Storbeck, forderte auf der Konferenz ein Umdenken der europäischen Regierungen bei der Bekämpfung international operierender Banden. Das organisierte Verbrechen sei mittlerweile zu einer so „mächtigen, gefährlichen und tödlichen Bedrohung“ geworden, daß es nicht mehr von den nationalen Polizeiorganisationen und Justizbehörden allein bekämpft werden könne, sagte er.