: Einstieg in die Sterbehilfe verschoben
■ Nach heftiger Kritik hat die Bundesärztekammer ihre geplante Sterberichtlinie auf Eis gelegt. Komapatienten müssen weiterhin künstlich ernährt werden. Moraltheologe Grewel: Richtlinie wäre „klare Ermutigung zum Töten“
Frankfurt/Berlin (taz) – In letzter Minute hat der Vorstand der Bundesärztekammer (BÄK) einen Rückzieher gemacht. Die umstrittene Neuauflage der „Richtlinie zur ärztlichen Sterbebegleitung und den Grenzen zumutbarer Behandlung“ wurde nicht wie ursprünglich geplant am Wochenende von der Spitze des Ärzteverbandes verabschiedet. Der BÄK-Vorstand gab damit dem wachsenden Druck von Kritikern nach, die der Standesorganisation vorwarfen, mit der Richtlinie werde die Tür zur aktiven Sterbehilfe geöffnet. Mit dem Verhaltenskodex sollten Mediziner erstmals ermächtigt werden, „lebenserhaltende Maßnahmen“ auch bei Menschen einzustellen, die überhaupt nicht im Sterben liegen, wie zum Beispiel Wachkomapatienten.
Alarmiert durch einen taz-Bericht (21. 4.), der die wichtigsten Punkte des bis dahin unter Verschluß gehaltenen Richtlinientextes erstmals öffentlich machte, erklärte die Gesundheitspolitikerin Monika Knoche, Bündnis 90/Die Grünen: „Es gehört nicht zum ärztlichen Behandlungsauftrag, lebenserhaltende Maßnahmen bei Menschen abzubrechen, die sich überhaupt noch nicht im Sterbeprozeß befinden.“ Damit würde, sekundierte Knoches Bonner Fraktionskollegin, die Ärztin Marina Steindor, „die Ärzteschaft eine Grenze in Richtung Euthanasie überschreiten“. Der Richtlinienentwurf sieht vor, daß „ein Behandlungsabbruch lebenserhaltender Maßnahmen“ zulässig ist, wenn dies dem „erklärten oder mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht“. Im Klartext: Ein Bewußtloser, von dem angenommen wird, daß er seinen behandelnden Arzt bei Bewußtsein auffordern würde, daß er nicht behandelt werden will, soll künftig einen Anspruch auf die Unterlassung haben; wenn die Apparatur dann abgestellt wird, bedeutet dies zum Beispiel Tod durch Ersticken oder Verhungern.
Sämtliche BÄK-VorständlerInnen seien mit dem Text „inhaltlich absolut einverstanden“, verteidigte Vorstandsmitglied Professor Eggert Beleites das Papier. „Angesichts der herausragenden gesellschaftlichen Bedeutung des Themas“, versprach Beleites, solle nun „eine breite Diskussion ermöglicht“ werden: „Jeder Mann und jede Frau könne nun dazu Stellung nehmen.“ Die Beschlußfassung wurde erst einmal auf den Herbst verschoben.
Die Diskussion über den Richtlinienentwurf hat unterdessen begonnen. Im WDR sagte der Dortmunder Theologieprofessor und Medizinethiker Hans Grewel, die Medizin denke seit Jahren darüber nach, wie man sich schwerstgeschädigter Überlebender entledigen könne. Hintergrund seien Kosten und Belastung, die von ÄrztInnen, PflegerInnen und Angehörigen empfunden würden. „Wenn jetzt in einer solchen Situation ein so schwammiges Papier der Bundesärztekammer hineinkommt“, warnt Grewel, „ist das eine direkte, vielleicht nicht beabsichtigte, aber in der Wirkung klare Ermutigung zum Töten.“
Zu Wort meldete sich auch der CDU- Abgeordnete Hubert Hüppe: „Fragen, bei denen es um Leben oder Tod geht“, mahnt Hüppe die ParlamentarierInnen, „dürfen wir nicht mehr irgendwelchen Kommissionen überlassen.“ Gefragt sei nun der Gesetzgeber. Klaus-Peter Görlitzer/wlf
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