Letzte Ausfahrt Wannsee

Seit zehn Jahren lebt der amerikanische Autor, Regisseur und Schauspieler Fred Canada in Berlin. Er schreibt über Fascho-Skinheads in der S-Bahn und andere hauptstädtische Stoffe  ■ Von Axel Schock

Kastanienallee im Prenzlauer Berg in Berlin. In der Hinterhof-Fabriketagenlandschaft von Dock 11, einem Probeort für Tanz- und Theaterworkshops, unterrichtet auch Fred Canada zwei Schauspielklassen: ein knappes Dutzend junger Frauen. Aufwärmtraining, Atemübungen, Improvisationen. Der Weg bis zur ersten Bühnenrolle ist noch weit. Ganz behutsam greift Fred Canada in die Aktionen ein. Es geht recht leise zu, fast schon meditativ. Momentan finanziert Canada seinen Lebensunterhalt mit dieser Arbeit, aber das Geld ist ihm nicht das wichtigste dabei. Einigen seiner Schülerinnen will er im zweiten Workshop-Jahr die Kosten sogar erlassen.

„Für mich ist dieser Unterricht vor allem eine Möglichkeit, aktiv zu bleiben“, sagt Fred Canada. „Ich könnte auch zu Hause sitzen, Däumchen drehen und warten, bis jemand anruft. Aber das liegt mir nicht.“ Warten auf eine Filmrolle, Warten darauf, daß endlich ein deutsches Theater sein Stück „Vier Frauen in New York“ inszeniert. Seit über zehn Jahren lebt der Autor, Regisseur und Schauspieler fast ununterbrochen in Berlin. Geboren in North Carolina, hatte er zunächst in der Howard University Creative Writing studiert, unter anderem bei Toni Morrison. Später wechselte er zu einer Schauspielschule, spielte in verschiedenen New Yorker Theaterproduktionen – bis es ihn nach Berlin verschlug. Eigentlich wollte er nur seinen Bruder besuchen, der als Tänzer bei Reinhild Hoffmann engagiert war. Doch Fred Canada blieb, verdingte sich zunächst als Aerobic-Lehrer bei Sydne Rome, aber längst war klar, daß er vor allem Schreiben und Spielen wollte.

Für seine in den letzten Jahren in Berlin am Grips-Theater und im Amerika-Haus produzierten Einakter, etwa „Manhattan Manners“, „The Baby Game“ und „The Gay Angel“, bekam Canada durchweg beste Kritiken. Mit einer Ausnahme, einem Verriß in der Berliner Morgenpost. Gerade darauf ist er aber besonders stolz: „Erst mit wenigstens einer schlechten Kritik ist man ein Künstler.“

Canada hat sich entschieden, in Berlin zu bleiben, wo auch seine beiden Kinder aus einer in die Brüche gegangenen Beziehung wohnen. Lebte er in New York, sagt er, gehörte er längst zu den etablierten Dramatikern. Aber fernab vom Broadway und den Off-Off-Theatern des Big Apple läßt sich nicht viel ausrichten. Canada betrachtet es positiv. Die vielen Jahre in Berlin hätten ihm die Zeit gegeben, sich zu entwickeln.

Harter Tobak in flotter US-Dramatik

Seine große Hoffnungen klammern sich vor allem an sein abendfüllendes Drama „Women of Interest“ (deutsch: „Vier Frauen in New York“). Eine Frauen-WG in New York. Die Durchmischung erscheint geradezu vorbildlich politically correct: Schwarze, Weiße, Latinas, eine Jüdin, eine Muslimin. Hinter der Fassade dieser Großstadtneurotikerinnen bricht allerdings zunehmend blanker Konservativismus, Antisemitismus und Rassismus hervor. Ein vermeintlich schwuler Mitbewohner entpuppt sich als Vergewaltiger. Harter Tobak in gewohnt flotter US-Dramatik.

Gerade darin sieht Daniel Fiedler, Dramaturg des Berliner Bühnenverlags Felix Bloch Erben, allerdings auch das Hauptproblem, das Stück bei deutschen Dramaturgen unterzukriegen. Canadas witzig-ironischer Umgang mit rassischer und sexueller Unterdrückung samt der sentimentalen Elemente des Stücks liege „zwischen E- und U-Theater“, und das würde in Deutschland eben immer genau unterschieden. Mit einigen Theatern hat der Verlag bereits Gespräche geführt, die ersten sind bereits zurückgeschreckt.

Canada schreibt unermüdlich weiter, mehrere Jahre pro Projekt. Immer mehr umkreist er seine Stoffe und konzentriert dabei das wuchernde Material. Allesamt Berliner Stoffe. Geschichten eines writers in Berlin. „Last Stop Before Wannsee“ etwa, ein Stück über drei gewalttätige Skinheads in einer S-Bahn. 1987 hatte er die Szenenfolge bereits vor Publikum erprobt und seither immer wieder daran gearbeitet. Der erste Teil einer „Tiergarten-Trilogie“ ist bereits abgeschlossen. Seinen (unveröffentlichten) Roman „The Night the KGB slept“ über ein blind date einer australischen Ballerina und eines russischen Tänzers ein halbes Jahr vor dem Fall der Mauer will Canada auch zu einem Solostück verarbeiten. Er packt einen dicken Ordner auf den Tisch: 400 Seiten Drehbuch. Die lose miteinander verstrickten Geschichten verschiedener Paare. Die Geschichte einer Straße in Charlottenburg. Geschichten von scheiternden Beziehungen, von Trennungen und vor allem auch von Ost-West-Mißverständnissen. Ausgangspunkt war für Canada das reale Schicksal eines polnischen Tänzers an der Deutschen Oper, der illegal in den Westen floh, um zu seinem Lover nach Berlin zu ziehen. Als er endlich angekommen war, hatte der längst einen andern. Der Tänzer nahm sich das Leben.

Hineingepackt hat Canada seine Beobachtungen und Erfahrungen der Deutschen mit der Teilung des Landes, die Schwierigkeiten der Annäherungen. Obwohl seine Filmgeschichte im Jahre 1983 spielt, ist es für ihn vor allem eine Geschichte über die Wiedervereinigung. Eine Idealbesetzung hat er auch schon ihm Kopf: Udo Samel, „mein Lieblingsschauspieler“. Max Tidof möchte er gerne in der Uraufführungsproduktion der „Vier Frauen in New York“ in der Rolle des Vergewaltigers sehen.

Über Theater und Film spricht Canada am liebsten. Corinna Harfouch als Eva Braun am Berliner Ensemble ist eine seiner eindringlichsten Berliner Theatererlebnisse. Christoph Schlingensiefs „Schlacht um Europa“ eine seiner schlimmsten. An Harfouch schätzt er wie auch an Udo Samel deren darstellerische Intensität. Die, so Canadas These, könne nur bewahren, wer als Film- oder Fernsehdarsteller auch weiterhin am Theater spiele. Alle großen britischen oder US-amerikanischen Filmstars verdankten diesem Prinzip ihre schauspielerischen Leistungen, ob Ralph Fiennes, Al Pacino oder Denzel Washington.

Jetzt, wo man in Babelsberg und München die Auferstehung des deutschen Films beschlossen habe, würde dies allerdings zumeist vergessen. „Darsteller wie Richy Müller, Til Schweiger oder Katja Riemann spielen kaum aus sich heraus, sondern denken immer nur darüber nach: ,Wie gut sehe ich jetzt auf der Leinwand aus?‘“ Deswegen unterrichtet Canada seine Schauspielschüler sowohl in Theater- als auch in speziellen Filmtechniken. Er selbst hat als Darsteller in einem knappen Dutzend Film- und Fernsehproduktionen in Deutschland mitgewirkt, etwa in Peter Patzaks „Midnight Blue“ und der TV-Serie „Die Baskenmütze“.

Die vergangenen Jahre war das Filmgeschäft eher flau für ihn. Nicht, weil er als Afroamerikaner schwer vermittelbar wäre, sagt seine Münchner Agentin Sibylle Flöter. Alibi-Ausländer gebe es inzwischen in fast jeder Serie. „Wenn er sich nur mal auf den Hosenboden setzen würde und endlich fließend Deutsch lernen.“ Bei den in Deutschland gedrehten Koproduktionen werden die englischsprachigen Darsteller mitgebracht und eben nur deutsche Schauspieler benötigt.

Jede Menge Arschtritte

In eine Opferrolle des diskriminierten Schwarzen will sich Canada ohnehin nicht drängen lassen. Daß afroamerikanische Dramatiker in Deutschland so gut wie nicht gekannt, geschweige denn verlegt oder gespielt werden, bedauert er. Schlimmer findet er den subtilen Rassismus im Alltag. Das Klischee des schwarzen Manns ärgert Canada auch in Schlingensiefs jüngster Volksbühnen-Show, in der Videobilder einer Beschneidungszeremonie afrikanischer Kinder zu sehen sind. „Wenn er wirklich schocken will, dann sollte er schwarze Banker in der Wall Street zeigen, die in der Mittagspause mit ihrem Handy auf der Straße gehen und nebenbei noch ein paar große Geschäfte abwickeln.“ Dies aber entspreche nicht dem Bild des Schwarzen, wie es im Film oder auf dem Theater derzeit gebraucht wird. „Poverty sells“, sagt Canada und meint die ewig Crack dealenden Streetgangs und Basketballspieler in den Ghettos und Filmen von Spike Lee.

Mit der widersprüchlichen Thelma, eine seine „Vier Frauen in New York“, hat Fred Canada denn auch eine schwarze Figur geschaffen, wie er sie eher liebt: eine wilde, rappende Jurastudentin auf dem Weg nach oben: „Ich werde die schlimmste, schwarze Verteidigerin werden, die das New Yorker Gericht jemals angetroffen hat ... ich stelle neue Gesetze auf, oder ich verteile jede Menge Arschtritte.“ Bislang stehen diese Sätze nur auf Papier. Aber Canada glaubt fest daran, sie bald von einer deutschen Bühne gesprochen zu hören.