piwik no script img

■ SchlaglochProbleme - und wie man sie löst Von Klaus Kreimeier

„Endlich wissen wir, daß nicht alle Probleme Lösungen haben müssen, weil manche Lösungen katastrophaler sein können als die Probleme.“

Breyten Breytenbach: „Die Erinnerung von Vögeln in Zeiten der Revolution“

Wir wissen es schon lange – aber offenbar ertragen wir es nicht, Probleme liegenzulassen, weil sie möglicherweise erst in fünf Jahren zu lösen sind. Daß es Probleme geben könnte, die schlechterdings unlösbar sind, will uns schon gar nicht in den Kopf; die gesamte westliche Denktradition lehnt sich gegen solche Zumutung auf. Politik, wie sie sich in den letzten vier-, fünfhundert Jahren entwickelt hat, versteht sich nachgerade als gigantische Problemlösungsmaschine und funktioniert wie ein Räderwerk, das, so schwerfällig es sein mag, keinen Winkel der Gesellschaft unbearbeitet läßt – wo immer man hinblickt, türmen sich ja kleine und große Probleme zuhauf, die der Lösung harren.

Da jede Beseitigung von Schwierigkeiten neue Schwierigkeiten produziert und diese wiederum so miteinander verzahnt sind, daß die jeweiligen Lösungsvorschläge sich gegenseitig paralysieren (unser Sozialsystem ist dafür ein Beispiel), wechselt die Maschine von Zeit zu Zeit den Rhythmus und arbeitet hektischer, ohne daß man behaupten könnte, daß sie auch sinnvoller arbeiten würde. Den Maschinisten stehen Schweißperlen auf der Stirn, aber da sie meinen, unentwegt agieren zu müssen, entgehen sie jener abgründigen Situation, in der sie der Absurdität ihres Handelns innewerden könnten.

Es könnte ja zum Beispiel sein, daß uns gerade die Wachstumsdynamik unseres Wirtschaftens unter dem Druck der technologischen Entwicklung in eine Lage gebracht hat, in der nicht nur immer mehr Menschen ihre Arbeit verlieren, sondern das Problem der Arbeitslosigkeit prinzipiell nicht mehr lösbar ist. Wir nennen es noch immer „Arbeitslosigkeit“ und sperren das Monstrum, da uns nichts anderes einfällt, auf den Korridoren der Arbeitsämter ein, während die Tatsache, daß die menschliche Arbeitskraft immer überflüssiger wird und der Mensch als selbstbewußtes, von seinem Nutzen überzeugtes gesellschaftliches Wesen in eine prekäre Lage gerät, allenfalls von Soziologen oder, in der Alltagspraxis, von Psychotherapeuten erörtert wird.

Bundeskanzler Kohls „Leitlinie“, die Arbeitslosigkeit in Deutschland bis zum Jahre 2000 zu halbieren, ist natürlich kein Vorschlag zur Lösung des Problems, sondern eher ein Indiz für das Bemühen, angesichts seiner objektiven Nicht-Lösbarkeit die Maschinerie auf eine höhere Tourenzahl zu bringen, um den Anschein zu erwecken, es werde alles getan, um ihre Talfahrt aufzuhalten. Dabei muß man nicht einmal gelernter Historiker wie der Kanzler sein, um sich glücklich zu schätzen, in einer Demokratie zu leben, die gar nicht über die Werkzeuge verfügt, fünf Millionen Arbeitslose innerhalb von ein paar Jahren auf die Hälfte herunterzubringen. Eine „Lösung“, die erwiesenermaßen katastrophaler wäre als das Problem selbst.

Wir haben schon Probleme genug – aber daß unsere Politiker so tun, als wären sie alle lösbar, könnte sie verschärfen. Nachdem die Mauer 1989 gefallen war, haben sie uns weiszumachen versucht, die deutsche Vereinigung lasse sich bewerkstelligen, wie man ein Do-it-yourself-Möbelstück zusammensetzt, dessen Einzelteile man sich vom Baumarkt geholt hat. Phase eins: politische Vereinigung, Phase zwei: wirtschaftliche Vereinigung – und wenn alles schön verfugt ist, kommt das Zusammenwachsen, die große deutsche Symbiose, ganz von selbst. Nur schnell muß es gehen, denn schließlich wartet Europa darauf, auf ähnliche Weise zusammengezimmert zu werden. Allmählich merken wir, daß die „Lösungsmodelle“ mit den Problemen nichts zu tun haben oder sie, das ist der Normalfall, eher verschlimmern. Plötzlich wird wahlweise den Ossis oder den Wessis die Schuld daran gegeben, daß die Deutschen nicht im Handumdrehen zusammenwachsen wollen. Aber warum sollten wir eigentlich?

Erstens haben wir, zumindest in diesem Punkt, sehr viel Zeit; die nächste Generation soll sich auch noch ein bißchen Mühe geben. Zweitens gibt es Fremdheiten, die sich nicht von heute auf morgen in gute Gefühle auflösen lassen. Als die Gauck-Behörde eingerichtet wurde, glaubten viele, nun habe man eine Maschine, mit der man den politischen Unrat, der plötzlich aus allen Ecken gequollen war, relativ zügig entsorgen könne, um alsbald zur Tagesordnung überzugehen. Die Gauck-Behörde ist eine Errungenschaft der Demokratie, um die uns andere zu Recht beneiden – aber natürlich haben wir uns mit ihr erst einmal neue Probleme aufgehalst, die uns unvermeidlich noch lange in Atem halten werden.

In Südafrika, dem Land Breyten Breytenbachs, wird heute, ein paar Jahre nach dem Ende der Apartheid, „Versöhnung“ in großen Lettern geschrieben, und zweifellos denkt sich Mandela etwas dabei, wenn er das Konzept der Versöhnung zwischen Schwarz und Weiß als Lösung aller gegenwärtigen politischen und wirtschaftlichen Probleme propagiert. Wer durch das Land reist, trifft viele Menschen, die sich in der Tat mit Geduld und Fingerspitzengefühl dafür einsetzen, daß die Täter und Opfer von gestern – oder deren jeweilige Angehörige – halbwegs normal miteinander leben und auskommen können. Aber man trifft auch andere, die sich dem Versöhnungsdruck entziehen; die klipp und klar sagen, sie seien unversöhnt – und die prophezeien, daß alte Feindschaften um so heftiger wieder ausbrechen könnten, wenn man die Menschen jetzt zwinge, sozusagen spornstreichs Freundschaft zu schließen.

In Deutschland neigen wir dazu, das Problem unserer fürchterlichen Vergangenheit mittels steinerner Monumente und taktisch ausgetüftelter Gedenktage zu lösen. Zumeist folgt die Katastrophe auf dem Fuß. Je wuchtiger und größer die Grabplatte, desto nachhaltiger das Gedenken – so die Überlegung der Initiatoren eines zentralen Holocaust-Mahnmals in Berlin. Irgendwie muß das Problem, daß sich die Deutschen nur ungern erinnern, doch zu lösen sein. Auch daß Lösungen nach Möglichkeit endgültig sein sollten, ist solchem Denken immanent.

Mit den Gedenktagen verhält es sich kaum anders. Eine Bundestagsdebatte in der vergangenen Woche hat gezeigt, daß die Probleme, die man sich mit ihnen vom Halse schaffen will, sich fortpflanzen und gegebenenfalls mit grausamer Ironie Rache üben. Einen Antrag der Opposition, die Volksvertretung möge sich 60 Jahre nach der Vernichtung Guernicas durch die „Legion Condor“ bei den Überlebenden und Nachkommen entschuldigen, beschied der CDU- Abgeordnete Joachim Hörster mit der Auskunft, wer sich unbedingt an die Verbrechen der Nazis erinnern wolle, solle sich auf den 27. Januar „konzentrieren“, basta. Die liberal-konservative Koalition, die gesamte Regierungsbank inklusive, entschied sich für Nichtbefassung. Ein Gedenktag als Endlösung des Erinnerungsproblems – so haben sich die Erfinder das wohl gedacht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen