Es wehen nur noch Alkoholfahnen

Die groß angekündigte NPD-Demo in Leipzig fiel aus. Nur ein paar versprengte Neonazis irrten durch die Stadt. Der DGB und der Oberbürgermeister feierten das als ihren Erfolg  ■ Aus Leipzig Andrea Böhm und Detlef Krell

Kahl rasierte Ratlosigkeit. „Irgendwo müssen sie doch sein“, rätselt das Skin-Grüppchen vor dem Leipziger Hauptbahnhof. Weit und breit sind keine Gleichgesinnten zu sehen. Eben wurde ein Dutzend angetrunkener Skinheads unter Polizeiaufsicht in den Regionalzug nach Wurzen gesteckt. Heimfahrt für den harten Kern der örtlichen Bewegung. Da half auch nichts, daß die Jungmänner ihre Reichskriegsflagge einrollten und das grünweiße Sachsen-Banner vor der Polizeikette entfalteten. Endstation Sackbahnhof.

Das kurzfristig vom sächsischen Oberverwaltungsgericht bestätigte Demo-Verbot hat die NPD kalt erwischt. 10.000 sollten am 1.Mai in Leipzig „nationalen Widerstand“ demonstrieren. Mehr als doppelt so viele wie beim Münchner Aufmarsch gegen die Wehrmachtsausstellung. Nur ein paar hundert sind bis Leizpig durchgekommen. Gerüchte über Ausweichdemos kursieren. Cottbus? Halle? Dresden? Bad Hersfeld? Nichts genaues weiß man. Die Skins vor dem Bahnhof warten auf die Straßenbahn zum Völkerschlachtdenkmal. Dort wollte die NPD aufmarschieren lassen, nachdem ihr die Stadt den Demonstrationsplatz vor dem Rathaus versagt hatte. Doch das Völkerschlachtdenkmal ist weiträumig abgeriegelt. Etwa 50 Jugendliche mit obligatorisch spärlichem Haarwuchs und Springerstiefeln werden zur erkennungsdienstlichen Behandlung festgenommen und danach aus dem umliegenden Parkgelände eskortiert. „Wo ist denn jetzt die Demo?“ fragt enttäuscht ein Zwölfjähriger mit schwarzer Bomberjacke und lila Fahrradhelm, der sich alleine auf dem Weg zum Denkmal gemacht hat.

Angesichts der offensichtlichen Aussichtslosigkeit, ihr Deutschsein auf der geplanten Kundgebung zu demonstrieren, versammeln sich einige Dutzend Skinheads und Neonazis vor dem Parkkiosk, um Pils, Schnaps und Cola- Bier-Mixer aus der Dose zu tanken. Etwa 200 Autonome und Antifa-Demonstranten unterbrechen die nationale Vatertagsstimmung kurzfristig und kommen die Straße Richtung Denkmal hochmarschiert. Den geplanten Zusammenstoß mit Skinheads verhindert die Polizei, die die Autonomen zurückdrängt und nach Angaben des „Bündnis gegen Rechts“ im Verlauf des Nachmittags rund 150 Antifa-Demonstranten festnimmt.

Am Völkerschlachtdenkmal sind unterdessen alle Nazi-Embleme und Reichskriegsflaggen von der Polizei konfisziert. Es wehen nur noch Alkoholfahnen. Während die Polizei am Völkerschlachtdenkmal deeskaliert, feiert Leipzig am Sachsenplatz bei Bockwurst, Bier und arbeitsfrei den 1. Mai. 40.000 sind nach Angaben des DGB zur großen Bühne in die Innenstadt gekommen. Sachsens DGB-Chef, Hanjo Lucassen, nennt die gute Nachricht zuerst: „Die Neonazis sind in ihren Löchern geblieben, weil die Leipziger Zivilcourage bewiesen haben.“ Das hört das Publikum gern. „Ganz Deutschland“ schaue auf die „Heldenstadt“, schließt der Gewerkschafter euphorisch. „Es ist Ruhe in Leipzig“, stellt Oberbürgermeister Hinrich Lehmann- Grube (SPD) fest, das Demo-Verbot habe „die erwünschte Wirkung“ gehabt.

So kann sich die Gewerkschaft ihren Themen zuwenden. Gastredner Oskar Lafontaine hat seinen ZuhörerInnen vor allem eines mitzuteilen: Kohl muß weg. Dafür bekommt er dankbaren Beifall. Der SPD-Chef warnt die Leipziger: „Wenn ihr noch einmal auf Kohl und seine Versprechen hereinfallt, dann versteht euch keiner mehr.“ Lafontaine appelliert an die Solidarität mit ausländischen Arbeitern in Ostdeutschlands Bauboomtown. Wenn Billiglohn damit begründet werde, das sei eben der freie Markt, dann wünsche er sich, „daß polnische und portugiesische Abgeordnete für 200 Mark Diäten diese Pfeifen im Deutschen Bundestag ablösen“. Jubel auf dem Platz. „Der hat's drauf“, freuen sich IG-Metaller. In diesem Moment würden sie ihn wohl wählen.