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Instant-City zum Andocken

■ Der Kunstverein erinnert an die abgespacete Architektengruppe „Archigram“

Der Bedeutungsanspruch von Architekten ist oft überzogen. Doch wenn Peter Cook seine Thesen fast tänzerisch vorträgt, vermittelt der in London und Frankfurt lehrende Professor pure Dynamik: „Architekturlehrer unterrichten meistens, was alles nicht geht, es kommt aber darauf an, zur Phantasie zu ermutigen!“Und da fordert der 61jährige nichts, was er nicht selber täte. Als Mitglied von Archigram zählt er zu jenen sechs Briten, deren Ideen in 35 Jahren von einem Insiderwitz zu weltweiter Geltung gelangten. Auf die 1961 mit einem respektlosen Flugblatt begonnene Architekturdiskussion beziehen sich inzwischen ebenso die Museumsmaschine des Centre Pompidou in Paris wie neue Gebäude von Rem Kohlhaas oder Zara Hadid.

Der Kunstverein dokumentiert jetzt das Werk von Archigram als Beitrag zum alle drei Jahre veranstalteten „Hamburger Architektur Sommer“. Mit der Ausstellung wird dem aufgeklinkerten Hamburger Büroleerstand die Vision einer sich ständig verändernden Instant-City entgegengesetzt.

Die Kunstszene zeigt aktuell großes Interesse an Ansätzen der sechziger Jahre, auch für die kommende documenta X ist Archigram Kandidat. Tatsächlich vermag die Frische des Aufbruchs zu faszinieren, der in ungebrochenem Vertrauen auf die moderne Technik die Zukunft gestalten wollte. Alles schien machbar, und die zeitgleiche Raumfahrteuphorie bewies die Realisierbarkeit von beweglichen Raumzellen und Robotern für alle Zwecke. Dynamik wurde zum Prinzip: der Bürger sollte seine Hauszelle mit sich tragen und sich je nach Bedarf an größere Einheiten andocken, vorstellbar wurden ganze Städte, die sich auf Teleskopbeinen fortbewegen oder am Himmel schweben.

Die heute hochgeschätzte Kontextualität wurde abgelehnt. Statt dessen wurden rückhaltlos multifunktionale moderne Lösungen gestaltet. Für die sechs Planer von Archigram war Architektur nur Teil eines ganzen Kulturentwurfs. Sie aktualisierten die utopische Tradition der zwanziger Jahre und verbanden sie mit dem Feeling der Beatles und den Visionen poppiger Science-Fiction-Comics.

Die übervolle Ausstellung, die beinahe 800 Zeichnungen und Modelle zeigt, präsentiert sich auch formal im Stile der sechziger Jahre. Im Nachbau der „Living City“-Inszenierung von 1963 sowie bei der 14fachen Diaprojektion auf Gazewolken und gebogene Leinwände, begleitet von zeittypischer Musik, wird ein vergangener Aufbruch teils beschworen, teils musealisiert. Denn auch Architekten können die Welt weniger verändern, als sie wünschen. Manchmal bleiben dann nur jene frustrierten Skizzenblätter, in denen im letzten Raum untersucht wird, welcher Ort am angemessensten ist, wenn ein Architekt plant, sich selbst aufzuhängen.

Hajo Schiff

bis 20. Juli, Kunstverein, Klosterwall 23, Führungen: jeden Sonntag, 14 Uhr. Katalog: 144 S., 40 Mark

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