■ Soundcheck: Heute abend: Go Plus, Helgoland, Sport und Zimbo
Heute abend: Go Plus, Helgoland, Sport und Zimbo.
Das Glück liegt im Osten. Genauer gesagt: im tschechischen Lodenice, wo die Tonträgerfabrik Gramofonove závody ihren Sitz hat. Kostengünstig wird hier gutes, altes Vinyl gepreßt – das hat sich inzwischen auch in Hamburg herumge-sprochen. Das ehrenwerte Label Fidel Bastro zum Beispiel läßt alle LP-Veröffent-lichungen in der Manufaktur herstellen, was den Vorteil hat, daß das Vinyl so hart und massiv in den Händen liegt wie der von der Firma vertriebene Home-Core in die Ohren dringt. Gut 200 Gramm schwer ist das schwarze Gold in Albumformat. Sowas, sagt Großvater, wird in der Bundesrepub-lik schon seit der Währungs-reform nicht mehr hergestellt.Auch Bands ohne festes Mutterlabellassen inzwischen Platten in Lodenice pressen. Daß Gramofonove závody in den letzten Jahren zur Vertrauensadresse für Vinyl-Afficionados geworden ist, läßt sich vor allem auf eine Person zurückführen: Renata Urbánková. Die junge Frau verwaltet alle aus Hamburg eingehenden Aufträge, und noch die wirtschaftlich unbedeutendste Bestellung wird von ihr zuverlässig bearbeitet.
Heute feiert die super Sachbearbeiterin, die hiesigen Bands so viel Freude bereitet, ihren 25. Geburtstag, und der Hamburger Underground gratuliert mit einem Konzert zu ihren Ehren. Von den vier Bands, die heute abend im Halbstun-den-Turnus im Hafenklangstudio antreten, steht jede auf die eine oder andere Weise mit Gramofonove závody in Geschäftsverbindung.
Welche Möglichkeiten die günstige Vinylherstellung eröffnet, beweisen Zimbo mit einer Tripple-Single. Experimental-Musik deluxe darf dieses aufwendige Produkt genannt werden. Jede der sechs Kompositionen beansprucht eine eigene Plattenhälfte, und oft muß man nicht nur die Scheiben drehen, sondern auch die Geschwindigkeit von 45 auf 33 Umdrehungen runterstellen. Das paßt zum Free-Core der Formation, in dem das Schalten zwischen den verschiedenen Gangarten auf gute Art Selbstzweck ist. Die drei Frickler, die uns mit komischen Wörtern eintwik-keln, hintertreiben jede Funktionalität. Daß sie dabei eine enorme musikali-sche Wucht freilegen, dürfte ihrem Verständnis von Ironie entsprechen.
Go Plus hingegen kommen aus der entgegengesetzten Richtung, in ihren stets emotional geladenen Liedern entsteht der Sog durch sorgsames Schichten von Sounds. Dabei war das Quartett, das sich live manchmal ein bißchen zu sehr in den eigenen Klangtep-pich einrollt, noch nie so gut wie auf ihrer jüngsten Single-Veröffentlichung: „Strum“ist eine exzellente Noise-Symphonie.
Höchst funktional agieren Sport. Das beginnt damit, daß sie ihre erste Doppel-Single mit neun Nummern füllen. Paßt irgendwie zu ihrem schönen, schnellen Lärm, der im Gestus Punk ist, aber vom Sentiment Pop. Sport spielen Indie-Rock, und Lou Barlow von Sebadoh dürfen sie einen Bruder im Geiste nennen, denn wie der Ami schmeißen sie ihre Songs mit unerhörter Dringlichkeit in die Welt.
Helgoland, die vierten im Bunde, sind da zögerlicher, weshalb der Nachfolger zur Debüt-Mini-CD auch nach zweiein-halb Jahren noch auf sich warten läßt. Vielleicht sollten Helgoland einfach Momentauf-nahmen von ihrem schier unendlich variationsreichen Jazz-Noise, den sie wie im freien Fall spielen, auf den Markt tun. Die gute Renata Urbánková im fernen Lodenice, das weiß der Hamburger, macht sowas möglich.
Christian Buß
heute, 21 Uhr, Hafenklangstudio, Große Elbstraße 84
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