: Viele Sonnen für Hanna
Wo die Liebe hinfällt, oder: Wie aus Stadtpflanzen gutgelaunte Landpomeranzen werden. Leicht ist die Umstellung auf die Landidylle nicht■ Von Kathi Seefeld
Anke ließ nichts anbrennen. Sie war in Berlin groß geworden, in ihrem Pankower Kiez kannte sie nach fast dreißig Jahren alles und jeden. Sie war versessen auf Kinopremieren, einmal im Monat ging sie ins Theater. „Ich bin immer unterwegs, ein Fernseher ist rausgeschmissenes Geld“, betonte sie gern. Stundenlang konnte sie durch Kaufhäuser pilgern und das Ganze lächelnd „einen Trip zur Entspannung“ nennen.
Wer die Idee mit der Anzeige hatte, ließ sich später nicht mehr rekapitulieren. Eines Abends stand jedenfalls Bernd vor der Tür. Ein Junge vom Lande mit einem riesigen Strauß Sonnenblumen unter dem Arm. „Meine Großeltern haben mir da so ein Anwesen hinterlassen. Da möchte ich nicht gern alleine wohnen.“ Anke liebte Sonnenblumen.
Dem Forstarbeiter gefiel die Mondäne. Ein dreiviertel Jahr später wurde Hanna geboren. Anke zog aufs Land, für ihre Wohnung fand sich schnell ein Untermieter. Bernds „Anwesen“ war ein ältliches Häuschen nebst Stallungen und Nebengelassen, eineinhalb Autostunden von Berlin entfernt, fast schon im Wald gelegen. Dunkle Holzmöbel thronten in der Stube. „Aus allen Ecken schien mich die Schwere des ländlichen Daseins vergangener Jahrzehnte anzublicken“, schildert Anke ihre ersten Eindrücke heute. Sie hatte nicht vermutet, daß sich ihr Leben mit dem Wegzug aus Berlin so grundsätzlich ändern sollte. So oft hatte sie mit den FreundInnen über Stadtflucht geplaudert. Und jetzt ausgerechnet sie?
Plötzlich waren da Tiere. Ein Hund, der angeblich der beste Freund sein sollte, der ihr jedoch genausowenig traute wie sie ihm und dennoch versorgt werden mußte. Oder die kleine Katze, die nur deshalb weg ist, weil sie den Radkasten des Autos zum Lieblingsplatz auserkoren hatte. Überhaupt – ohne Auto war man hier draußen aufgeschmissen.
Bernd konnte mit Ankes Problemen wenig anfangen. „Großmutter hat aus den Äpfeln immer Mus gekocht“, sagt er. Anke hat keine Lust auf Apfelmus. Ihre kleine Tochter Hanna schon. „Was mich wahrscheinlich am meisten erschütterte, war, daß unser Haus immer irgendwelchen Gästen offenstand. Die Bauern aus der Nachbarschaft oder die Leute von der Forst kamen selbst Sonntag morgens um acht, marschierten mit ihren Ackerstiefeln durch die Wohnung und blieben bis zum Mittag, obwohl sie sich eigentlich nur den Rasenmäher borgen wollten.“ Groß unterhalten konnte sich mit „Bernds Frau“ irgendwie keiner. „Dafür hatte ich stundenlang mit dem Abwasch zu tun.“
Eines Tages standen zehn Kühe hinterm Haus. Sie blieben den ganzen Sommer und manchmal wehte ihr Duft bis zur Kaffeetafel herüber. „Die Kühe“, erklärte Bernd, „wurden angeschafft, um als Landwirtschaftsbetrieb anerkannt zu werden und Fördermittel zu bekommen.“ Anke zog mit Hanna nach Berlin zurück. Einmal im Jahr Tanz im „Dorfkrug“ und im Sommer Operngala in Rheinsberg schienen ihr zum Glück zuwenig.
Wieder in der Stadt, überkam sie der große Jammer. Ihr fehlten die Waldspaziergänge. Mißtrauisch legte sie die Äpfel im Supermarkt ins Regal zurück. Hanna vermißte die Tiere, und bis zum Spielplatz kam sie auch nicht alleine. Den folgenden Möbeltransport bezahlte Bernd. Anke machte ihrem ländlichen Hausfrauendasein ein Ende, Arbeit fand sie in der nahegelegenen Kleinstadt.
Im März begannen Bernd und Anke die alten Stallungen abzureißen. Ins Wohnzimmer haben sie helle Landhausmöbel gestellt. Anke hat ein Stück Erde umgegraben und Hanna Kerne hineingelegt. „Wir werden hier ganz viele Sonnen kriegen“, freut sich die Dreijährige. Vor zwei Wochen haben Anke und Bernd geheiratet. Am Vorabend löste Anke ihre Berliner Wohnung endgültig auf. „Ich habe mich einfach entschieden“, lacht sie verschmitzt und schwärmt von selbstgebackenem Brot, das sie haben werden, wenn erst der Ofen gebaut ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen