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Versunken im Hüttenkäsesumpf

Viel Spielfreude und Phantasie, durchsetzt mit gutgemeintem Doofmenschentheater: Ein Rückblick auf das vierte Deutsche Kinder- und Jugendtheatertreffen mit Gastspielen aus Israel  ■ Von Sabine Leucht

Ach, wie wenig doch Theater braucht! Heute vor einer Woche begann das 4. Deutsche Kinder- und Jugendtheatertreffen „augenblickmal“ mit einer Inszenierung aus der Schweiz: Das Theater Katerland zeigte Daniil Charms „Reise nach Brasilien“ auf einer leeren Bühne. In der heimlichen Hauptrolle: ein Paar Schuhe.

Vier Tage später, der Spaß neigt sich bereits dem Ende zu, benötigen Hanoch Reim und Yo'av Bar- lev aus Tel Aviv auf ihrer „Reise zum Käsestern“ nicht mehr als eine Bank. Ausgestattet mit einer grandiosen Phantasie und ebensolcher Spielfreude, überstehen sie die Bruchlandung auf dem seltsamen Planeten, wühlen sich durch Käsematsch und versinken im Hüttenkäsesumpf. Wenn ihre Gesichtszüge sich so klebrig dehnen wie ihre Bewegungen, dann vergessen selbst die wenigen Kinder im Publikum die mißlungene Simultanübersetzung und amüsieren sich königlich.

Zusammen mit dem Berliner carrousel-Theater hat das Kinder- und Jugendtheaterzentrum der Bundesrepublik Deutschland ein beachtliches Programm auf die Beine gestellt. Zum erstenmal in Deutschland: drei Inszenierungen aus Israel, die allein schon eine Reise wert sind.

Die Maschine rollt, aber sie ächzt nicht

Doch auch unter den zehn „bemerkenswerten“ Inszenierungen aus Deutschland ist manches zu finden. Da geht es um Ängste und um Sehnsüchte, um Einsamkeit und Freundschaft – und fast durchweg wird versucht, dem mit den einfachen Mitteln des Theaters beizukommen. Die Maschinerie rollt – aber sie ächzt nicht, sondern flüstert leise im Hintergrund.

Auf der lichtdurchfluteten, heuduftenden Drehbühne, auf der das Thalia Theater Halle „Schweres Gras“ in Szene setzt, eine traumschwere Geschichte von vier Außenseitern nach der Erzählung „Eldvin“ von Barbro Lindgren, rührt der Zauber auch von der Drehbewegung, vor allem aber von der Schlichtheit, mit der die Figuren ihren Verletzungen begegnen: Wenn Eloine sich nur in ihrem Wassereimer geborgen fühlt und Eldvin seine Angst vergißt, während er den Maulwürfen lauscht, dann scheint ihre Welt auf eigentümliche Weise im Lot zu sein. Wie jäh der Tod dann einbricht, ist eine andere Sache. Hier wird es donnergrollend finster und schließlich fast platt. Doch genug davon.

Wo in Halle die Menschlichkeit triumphiert, regiert in Tübingen zunächst der Ekel: In der Bühnenversion von Wolf Erlbruchs Kinderbuch „Die Fürchterlichen Fünf“ brilliert Cathrin Störmer als „Kröte“. Nicht Mensch noch Tier, schlurft sie sabbernd und durch jede Pore Schleim absondernd durch das schmierigste Fleckchen Welt und schafft es am Ende doch fast, daß man sie liebt, durch geheimnisvolle Nuancen im groben Gewand.

„Gut gemuht UHU – jandln für Kinder“ aus Dresden hingegen ist nuancenlos ein Generalangriff auf alle Sinne. Der Verstand streicht die Segel; mitschwimmen ist angesagt. Grell, schrill, bunt und holzschnittartig wird hier Jandls Sprachstakkato exerziert – und mit den Buchstaben und Wörtern tanzen schließlich auch die menschlichen Glieder aus der Reihe. Jandl spielen, Jandl steppen, Jandl rappen! Das muß man nicht mögen, aber es ist konsequent – und gekonnt allemal.

Wer stilisierte Kunstfiguren, ob jandlnd oder nicht, per se verschmäht, der sollte auch um das Eskimomärchen „Das Mädchen Kiesel und der Hund“ vom carrousel-Theater besser einen Bogen machen. Ausgefallenes aber auch hier: Summen, Keuchen und Singen wird den Schauspielern zuweilen zur Sprache und stellt Nähe her zwischen den auseinandertreibenden Figuren. Überhaupt die Musik! In den meisten Inszenierungen spielt sie eine prominente Rolle, und oft ergibt sie sich wie selbstverständlich aus dem Spiel – rhythmisch, direkt und wirkungsvoll.

Knapp daneben ist auch vorbei

Das Kinder- und Jugendtheatertreffen will alle zwei Jahre die Vielfalt des Genres in einer Werkschau bündeln und versteht sich vor allem als lebendiges Forum für das „Fachpublikum“. Daß dazu auch die Zielgruppe selbst gehört, scheint bei dieser bislang noch nicht so recht angekommen zu sein. Schade, denn der kleine Junge, der seinen Vater mit Fragen löchert, entlarvt den Flop des Treffens wirkungsvoller als die fundierteste Erwachsenenkritik: „Das Pferd in der Nacht“ aus Kiel steht auf dem Programm; und wie die Schauspieler nur großäugig Kinder spielen, die einen Traum spielen, an den keiner glaubt, wartet der Kleine sehnsüchtig auf das Pferd. Selbst dann noch, als es längst als übergroße Projektion auf der Bühnenrückwand galloppiert. Hier zeigt sich, daß auch die Kindertheaterlandschaft Täler und Schluchten hat.

Wieviel gutgemeintes Doofmenschentheater sie bergen, das kann man nach dieser Kostprobe nur erahnen. Dafür freut man sich um so mehr über den Charme, die Phantasie und die Lust am Spiel, die auf den Gipfeln herrschen, wenn etwa Patricia O'Donovan- Lockard aus Jerusalem mit einfachen Papierfiguren und Bleistiften erzählt, wie der blinde Junge Louis Braille mit Fünfzehn die Blindenschrift erfindet. „A Touch of Light“, der Titel des Spiels, wird im Programmheft mit „Ein Lichtschimmer“ übersetzt. Wie wahr.

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