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Ökonomisch betrachtet ein Nullsummenspiel

■ Die längeren Ladenöffnungszeiten brachten weder mehr Umsatz noch mehr Arbeitsplätze. Viele Einzelhandelsgeschäfte öffnen nur noch ab Mitte der Woche bis 20 Uhr

„Man kann die Läden noch so lange geöffnet haben, deshalb haben die Menschen trotzdem nicht mehr Geld in der Tasche.“ Ein vernichtendes Resümee zur Liberalisierung des Ladenöffnungsgesetzes, das seit November vergangen Jahres in Kraft ist, zieht Ottwald Demele von der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV): „Der Umsatz im Einzelhandel sinkt weiter, die Zahl der Beschäftigten sinkt weiter, und selbst Kaufhäuser in Toplagen wie das KaDeWe stellen nicht mehr Leute ein.“ Die Tendenz zum Personalabbau und mehr Teilzeitbeschäftigung sei nach wie vor ungebrochen. Und: „Allenfalls bei den geringfügig Beschäftigten und bei der Stundenzahl der Teilzeitkräfte ist eine Zunahme zu beobachten.“ Viele Einzelhändler seien einem immensen Konkurrenzdruck ausgesetzt. Mancher würde gerne wieder früher zumachen, kann dies aber nicht, weil dann die wenigen Kunden zu den nach 18 Uhr geöffneten größeren Geschäften strömen würden. Besonders in der City würden viele Läden „Durchhalteparolen“ ausgeben, obwohl keinerlei Umsatzsteigerungen festzustellen sind.

Eine positive Bilanz zieht dagegen Manuela Remus-Wölfling von der Arbeitsgemeinschaft City, die für die die meisten am Kurfürstendamm gelegenen Kaufhäuser und Einzelhandelsgeschäfte vertritt. Kein Mitglied ihrer AG habe – trotz anderslautender Presseberichte in den vergangenen Wochen – die verlängerten Öffnungszeiten wieder zurückgenommen. Jedoch, so schränkt sie ein, von Montag bis Mittwoch werde häufig nur noch bis 19 Uhr geöffnet. „Da die Kaufhäuser bis 20 Uhr geöffnet haben, ist der Ku'damm auch abends voll mit Menschen. Wir wollen jetzt mal abwarten, was der Umsatz im Sommer bringt“, führt sie weiter aus, „und Mentalitäten, die in 40 Jahren gewachsen sind, lassen sich nun mal nicht innerhalb eines halben Jahres aufbrechen.“

„Differenziert“ betrachtet Henry Sieb von der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG) die Situation nach einem halben Jahr. „Von Montag bis Mittwoch sind die verlängerten Öffnungszeiten durchgefallen, Freitag und Samstag werden sie mindestens in den City-Bereichen angenommen. Über die Fläche gesehen ist die Bilanz negativ, und vielerorts werden die Öffnungszeiten wieder zurückgefahren.“ Auch müsse zwischen Stadt und Land sowie Kaufhäusern in der City und Lebensmittelketten unterschieden werden.

Ebenfalls „nicht euphorisch“ sieht Klaus Labonte von der Industrie- und Handelskammer (IHK) die Situation. In den großen Kaufhäusern habe der Kundenandrang eindeutig „entzerrt“, dort herrsche nun eine sehr viel angenehmere Atmosphäre, weil sich die gleiche Anzahl von Kunden über mehr Stunden verteilt.

Eine flächendeckende Studie gibt es bisher nicht. Dazu seien, so Jochen Schmidt vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), sechs Monate viel zu kurz. „Aber wir haben schon vor einem halben Jahr gesagt, daß wir nicht an einen Schub in Richtung Umsatz und Beschäftigung glauben. Der zu verteilende Kuchen wird durch eine Ausdehnung der Öffnungszeiten nicht größer, sondern es finde nur eine Verlagerung zu Lasten anderer Zeiten und der Beschäftigten statt.“

„Eine Bilanz lasse sich erst nach einem Jahr ziehen“, sagt auch Nils Busch-Petersen vom Berliner Einzelhandelsverband. „Auf jeden Fall ist jetzt schon klar, daß der Kunde nicht in dem Maße nachfragt, wie die Politik dies versprochen hat. Spannend wird es, wie es nach dem Sommer aussehen wird.“ Von anfänglich 40 Prozent seiner Mitglieder, die seit dem 1.November 1996 mitgemacht haben, seien immer noch drei Viertel weiter mit dabei. Ansonsten sei es wie mit jeder neuen Freiheit: es erweitere den individuellen Handlungsspielraum jedes Einzelhändlers und differenziere damit notgedrungen die Ladensöffnungszeiten immer weiter aus. Christoph Villinger

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