■ Vorschlag
: "Die Ratten" von Gerhart Hauptmann im Maxim Gorki Theater

Seltsam irreal wirkt es, wenn ein historisch-realistisches Stück heutzutage historisch-realistisch gespielt wird. Frau Maurerpolier John in ihrer Arbeiterwohnküche. Herr Extheaterdirektor Hassenreuter in seinem Fundus auf dem Dachboden. Walburga Hassenreuter mit Spängchen im Haar, ein polnisches Dienstmädchen, diverse Säuglinge und eine drogenabhängige Nutte im Flatterkleid. Es wird Dialekt gesprochen. Berlinisch oder ostpreußisch, es wird geschaltet und gewaltet, gelitten und gelotten, man müßte Kohl, Kohle, Schweiß und alte Windeln riechen. Gerhart Hauptmann, „Die Ratten“, Uraufführung 1911. Was würde passieren, wenn sich die Bühne (nicht das Parkett!) plötzlich mit Wasser füllte? Würden Katharina Thalbach und Manfred Karge – blubb, blubb – einfach weiterspielen? Wahrscheinlich. Sind schließlich Profis.

Uwe Eric Laufenberg hat die „Berliner Tragikomödie“ im Maxim Gorki Theater inszeniert, hinter einer Brecht-Gardine, auf der bruchstückhaft „Der kaukasische Kreidekreis“ steht. Obwohl es am wenigstens darum geht, daß eine Frau das Kind einer anderen zu sich nimmt und die es dann zurückwill. Vielmehr tun Menschen Dinge aus Not (ökonomischer, seelischer) und werden von anderen deswegen für „Ratten“ gehalten. Angst vor dem Fremden. Die Hefe des Volkes. Im Programmheft wird Landowsky zitiert: „Es ist nun einmal so, daß dort, wo Müll ist, Ratten sind und daß dort, wo Verwahrlosung herrscht, Gesindel ist.“ Ratten, Rattenjagd, ein schlimmes Thema, schon Silberfische sind nicht schön.

Katharina Thalbach ist die Volksschauspielerin unserer Tage. Sie schont sich nicht, und die Leute lieben sie. Zu Recht. So glücklich, wie sie immer beim Applaus aussieht, muß man sie lieben. Sie ist großartig als Frau Maurerpolier John. Fast knistert der Ton, und man sieht plötzlich alles in den Grautönen eines alten Spielfilms. Auch sonst ist diese real existierende Inszenierung ganz sozialdramatisch. Die Bühne rumplig, die Schauspieler gut. Manfred Karge als Extheaterdirektor und Thomas Schmidt als sein renitenter Schauspielschüler (realistischer Stil versus klassizistisches Pathos). Auch gibt es einen Mord, und die Drehbühne tut, was sie soll. Man nennt es Genretheater. Petra Kohse

Heute, 8.–10., 13./14.5., 19.30 Uhr, Maxim Gorki Theater

Katharina Thalbach und Ursula Werner Foto: Damasceno