Geheime Kassiber an FJS

■ Ein Buch über vergessene Stasi-Opfer

Im offiziellen Sprachgebrauch der DDR war der Begriff „politischer Häftling“ für die Opfer des NS-Systems reserviert. Inoffiziell war bekannt, daß der SED-Staat mit seinen eigenen politischen Häftlingen, die gern zu „Klassengegnern“ gestempelt wurden, die Staatskasse aufbesserte: Zwischen 1963 und 1989 hat die Bundesregierung über 33.000 politische Häftlinge freigekauft und dafür 2,5 Milliarden Mark an die DDR bezahlt. Heute erinnert sich fast niemand an die vielen Einzelschicksale, für die die politisierte DDR- Strafjustiz verantwortlich war. Die Medien berichten lieber über die Täter. Nicht so der Leiter des „Arbeitsstabes neue Länder“ im Kanzleramt, Jürgen Aretz, und der Journalist Wolfgang Stock. In ihrem Buch dokumentieren sie die Geschichten von 13 Menschen, die sich gegen die diktatorischen Zumutungen der SED wehrten und dafür viele Jahre in Haftanstalten der Stasi verbringen mußten.

Zum Beispiel das Ehepaar Sabine und Peter Schwarz. Die bekennenden Christen wurden von der Stasi verfolgt, weil sie auf ihren Jacken den „Schwerter zu Pflugscharen“-Aufnäher trugen. Peter Schwarz wurde verhaftet und brutal zusammengeschlagen. Als das Ehepaar einen Ausreiseantrag stellte, begann das MfS mit der sogenannten „Operativen Personenkontrolle“: Sie wurden ständig bespitzelt, dann verhaftet und von ihren Kindern getrennt. Verurteilt nach einer nichtöffentlichen Verhandlung, wurden sie nach zehn Monaten „freigekauft“ und konnten in die BRD übersiedeln.

Für viele politische Häftlinge waren in Kassibern herausgeschmuggelte Briefe an Politiker wie Franz Josef Strauß oder anSchriftsteller wie Heinrich Böll die letzte Hoffnung, auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Es ist verdienstvoll, daß Aretz und Stock am Beispiel von ganz unspektakulären Fällen die Menschenrechtsverletzungen in der DDR aufzeigen. Größere politische Zusammenhänge deuten die Autoren aber leider nur an, und sehr oberflächlich beschäftigen sie sich mit der juristischen Aufarbeitung des SED-Unrechts. Zwar schlagen sie eine „Wahrheitskommission“ nach südafrikanischem Vorbild vor, erwähnen aber mit keinem Wort das umstrittene deutsche „Unrechtsbereinigungsgesetz“. Rüdiger Soldt

Jürgen Aretz/Wolfgang Stock: „Die vergessenen Opfer der DDR“. Bastei-Verlag, Bergisch Gladbach 1997, 253 S., 16,90 DM