„Babenhausen ist jetzt judenfrei“

■ Bar und Wohngebäude wurden angezündet: Nach dem Anschlag auf seinen Besitz kehrt Tony A. Merin, Deutscher jüdischer Herkunft, dem Land den Rücken. In der Ruine wurden rechtsradikale Schmierereien gefunden

Frankfurt/Main (taz) – „Babenhausen ist jetzt judenfrei“, konstatiert der in Hamburg geborene und in Babenhausen im hessischen Landkreis Darmstadt-Dieburg aufgewachsene Tony Abraham Merin verbittert. Der 51jährige Unternehmer, der seit drei Jahren auch einen Wohnsitz in Corpus Christi in Texas (USA) hat, steht vor den rußgeschwärzten Fassaden seiner beiden Häuser an der Bundesstraße 26 in Babenhausen, direkt gegenüber den teilgeräumten US-Kaseren. In der Nacht zum 1. Mai hatten bislang noch unbekannte Täter das bis vor einem Jahr noch vermietete zweite Wohnhaus von Merin und seine Tex-Mex-Bar „Route B 26“, die von einem Geschäftsführer betrieben wurde, in Brand gesetzt.

„Das Kapitel Babenhausen ist damit für mich endgültig abgeschlossen“, sagt Merin, der nach der Wende als Bürger von Babenhausen schon einmal Ziel von „antisemitischen Schmähungen und von massiven Drohungen“ geworden war. Als dann im Jahr 1993 an seinem alten Mercedes- Benz von Unbekannten die Radmuttern gelockert worden seien, habe er beschlossen, Babenhausen und Deutschland zu verlassen. „Fast fünfzig Jahre nach dem Holocaust hatte ich als Jude in Deutschland wieder Angst um mein Leben“, sagt Merin rückblickend. In den Vereinigten Staaten reichte er im Bundesstaat Texas als rassistisch Verfolgter einen Asylantrag ein, der aus formalen Gründen allerdings abschlägig beschieden wurde. Seitdem pendelte er zwischen Corpus Christi und Babenhausen – wegen der Tex-Mex-Bar und seines Vertriebs für Leuchtreklamen in Babenhausen.

Empört ist Merin heute auch deshalb, weil er weder von der ermittelnden Polizei in Darmstadt noch von der Stadtverwaltung in Babenhausen über das Geschehen in der Nacht zum 1. Mai unterrichtet worden sei. Von dem Brandanschlag habe er nur deshalb erfahren, weil ein Nachbar ihn deswegen in Texas angerufen habe. Merin nahm die nächste Maschine und stand nur einen Tag später vor den verkohlten Fassaden der Gebäude. Sachschaden: mehr als eine Million Mark. Zum Glück hatten sich zum Zeitpunkt der Brandstiftung keine Personen in den Gebäuden aufgehalten.

Wie der Sprecher der Darmstädter Polizei, Karlheinz Treusch, gestern mitteilte, ist „mit dem Brandbeschleuniger Benzin“ an mehreren Stellen Feuer gelegt worden. Und Treusch bestätigte auch, daß im Inneren der Gebäude „Parolen mit rechtsradikalem Hintergrund“ entdeckt worden seien. In einer ersten Presseerklärung hieß es dagegen noch, daß der Polizei über die Hintergründe der Tat „keine Erkenntnisse“ vorliegen würden. Das Landeskriminalamt (LKA) mit seiner Abteilung „Brandursachenermittlung“ wurde nicht eingeschaltet.

An einer Wand stehe: „Juden raus!“ „Auf eine andere wurde ein Hakenkreuz geschmiert“, sagt Merin. Und angekokelt sei auch der aus Holz gezimmerte Galgen, den ihm sein Exmieter nach einem Streit und der anschließenden Kündigung des Mietverhältnisses hinterlassen habe. „Jude verrecke!“ steht an der Wand neben dem Galgen.

Tony A. Merin will und kann nicht mehr mit Babenhausen und mit Deutschland. Der „eher ungläubige Jude“ (Merin über Merin) will jetzt alles verkaufen: das rund 7.000 Quadratmeter große Grundstück mit dem verschont gebliebenen ehemaligen Wohnhaus der Familie Merin und den beiden ausgebrannten Gebäuden. Mit der Tex-Mex-Bar, in der es original texanisch-mexikanisches Essen und Live-Musik geben sollte, habe er eigentlich einen Neuanfang in Babenhausen wagen wollen. „Das ist jetzt vorbei“, versichert Merin, dessen Vater in Polen im Untergrund gegen die Nationalsozialisten gekämpft hatte und dessen Mutter das Konzentrationslager nur gesundheitlich schwer geschädigt überlebte. Der letzte Jude von Babenhausen geht – wohl für immer. Klaus-Peter Klingelschmitt