„Sucht der Mütter trifft 13.500 Kinder“

■ Modellprojekt „Beratung und Betreuung von Schwangeren und Müttern mit Suchtproblemen“/ Frauen sollen nicht im Formulare-Kreislauf resignieren / Behörde und „Bremer Hilfe“kooperieren erstmals

Mit dem Methadon-Programm setzten bei vielen drogenabhängigen Frauen plötzlich (wieder) „Normalitäten“im Leben ein. Eine davon ist das Kinderkriegen: 29 substituierende junge Mütter wurden letztes Jahr vor und/oder nach der Geburt von den „Familienhebammen“des Bremer Gesundheitsamtes betreut. Babys von Methadon-abhängigen Frauen sind nach der Geburt meist übernervös, zittern, schwitzen, kratzen sich blutig – vier Wochen dauert in der Regel der Entzug mit Beruhigungs- und Schlafmitteln.

Wie kann Müttern und Kindern geholfen werden? fragten sich deshalb Fachleute bei der Bremer Tagung „Frauen und Sucht“schon vor zwei Jahren. Soll ein weiteres, spezifisches, hochmodernes Extra-Angebot entstehen? Man entschied sich für ein Nein und für den Fokus Schwanger- und Mutterschaft sämtlicher suchtkranker Bremer Frauen. Denn schätzungsweise 13.500 Bremer Kinder sind vom Suchtproblem ihrer Mütter betroffen: von deren Drogen-, Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit.

Ein neues Beratungs- und Betreuungsmodell der Bremer Hilfe zur Selbsthilfe e.V. folgte. Gestern zog diese ein erstes Resümee: Seit Herbst '96 konnten 20 Bremerinnen mit Suchtproblemen intensiver und effektiver betreut und begleitet werden, als das bisher der Fall war. Die Frauen sollen nämlich nicht mehr alleine vom Sozialamt zum Wohnungsamt, zu ÄrztInnen, zum Jugendamt oder zur Schuldnerberatung und jeweils wieder zurück zum Sozialamt geschickt werden. Denn gefangen in diesem zähen Formulare-Kreislauf resignieren sie oft und greifen wieder zur Flasche, zu den Drogen, zu den Tabletten. „Unser Ziel ist, daß die Frauen immer einen Schritt weitergehen können und sich ihr Alltag stabilisiert , so Wilma Warbel, Mitarbeiterin der Bremer Hilfe. „Wir überlegen gemeinsam, welche Anlaufstelle die nächste sein kann, und die Frauen werden von uns unterstützt, wo sie es wollen, zum Beispiel auch in der Kinderbetreuung.“

Dabei ist an dem dreijährigen Bremer Modellprojekt nicht nur die neu definierte Zielgruppe bislang einmalig in der Bundesrepublik – auch die Zusammenarbeit zwischen Behörden und einem freien Suchthilfe-Träger war so noch nicht dagewesen. Die drei Modell-Beraterinnen der Bremer Hilfe kooperieren kontinuierlich mit der Abteilung Kinder und deren Familien beim Amt für Soziale Dienste (AfSD), mit den oben genannten Familienhebammen des Gesundheitsamtes und mit dem Kontakt- und Beratungszentrum Tivoli (früher Bauernstraße), ebenfalls AfSD.

„Wir setzen uns ins Tivoli-Café und sprechen die Frauen an“, beschreibt Wilma Warbel ihren Beratungsalltag. „Oder wir nehmen mal an einem Beratungsgespräch im Sozialamt teil und bieten unsere Hilfe an. Oder der Kooperationspartner vermittelt uns direkt und wir treffen uns mit den Frauen zu Hause, im Amt oder an einem neutralen Ort.“Daß dies voraussetzt, daß die Schwangeren und Mütter bereits bei irgendeinem Amt aufgetaucht sind, ist allen bewußt. Wo werden alkohol- oder medikamentensüchtige Frauen als solche erkannt? Babys von Alkoholikerinnen sind normalerweise nicht auf Entzug. – Man hoffe auf den Schneeballeffekt, so die Antwort.

Als wichtiger Dreh- und Angelpunkt haben sich nun nach einem halben Jahr Projektzeit bereits die „Familienhebammen“vom Gesundheitsamt erwiesen. Auf so einige Frauen wurden die Beraterinnen der Bremer Hilfe erst durch die Hebammen aufmerksam, die seit nunmehr siebzehn Jahren „Krisenmütter und Krisenkinder“betreuen, sprich zu Hause aufsuchen – Sucht ist hier nur ein Kriterium unter vielen. „Die sprachen immer von viel kleineren Zahlen als wir sie hatten, wenn von substituierenden Schwangeren und Müttern die Rede war“, wunderte sich die leitende Familienhebamme Anne Fraas zu Anfang. „Aber wir haben ja tatsächlich das Problem, daß wir nicht wissen, wieviele Drogenabhängige wir überhaupt in Bremen haben. Uns passiert es so oft, daß bei einem Hausbesuch plötzlich zwei andere sustituierte Frauen da saßen und auch Hilfe wollten.“

Das Gesundheits- und Sozialressort – Financier des neuen Beratungsmodells – will per wissenschaftlicher Begleitung wissen, ob man auf dem richtigen Weg sei. sip