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: Riecht nach Kiez

„Angeschlagen“, Montag, ZDF, 20.15 Uhr

Wenn schon „Sozialdrama“ im Programmheft steht! Am Anfang kommt der Protagonist mit seiner Kollegin an ein rotweißes Band, ein Unglücksfall ist passiert. Sie weisen sich als Jugendsozialarbeiter aus, dürfen durch. Der Polizist sagt: „Wenn Sie sich das antun wollen.“ Während wir noch überlegen, ob wir uns das antun, liegt die erste benachteiligte Jugendliche – drogensüchtig! noch so jung! – schon tot auf dem Klo.

Sozialpädagoge Erik ist mit allen Wassern gewaschen und daher ein veritabler Zyniker, kein Wunder, daß er die Hauptfigur ist. Kollegin Elke ist so kreuznaiv, daß man heulen möchte, aber sie tut's schon dauernd selbst. Da sind die Klischees also wechselseitig auf beide verteilt, und wir werden noch lernen, daß man freilich weder so noch so weiterkommt in der rauhen... – fast hätten wir Wirklichkeit gesagt, aber die ist dem ganzen doch etwas fern.

Erik, muß man wissen, hat seine Primärexistenz als Großbürgerkind für das Sozialheinidasein hinter sich gelassen, weil er, wie er sagt, auch noch einmal mit den anderen Leuten zu tun haben wollte: „Leuten, die nie etwas von überbackenen Austern und Bilanzsummen gehört haben.“ Wie die Welt jenseits der Austernschale aussieht, weiß er nun: „Ich habe den Kiez gründlich eingeatmet, ich riech' schon selber so.“ An solchen Dialogen merkt man, daß beide Aussagen auf den Film eher nicht zutreffen.

Dabei entspinnen sich die Konflikte doch eigentlich hübsch spannend: Erik verliebt sich in die Mutter eines bedrohten Schützlings, ist aber wiederum, wie Männer so sind, auch wieder sehr bindungsängstlich; außerdem lockt auf der anderen Seite die Exfreundin mit einem Austernschuppen.

Der kleine Thomas wird bedroht von einer Jugendbande, schlimme Sachen machen die, mit Messern. Das ist dann die Stelle, an der Erik mit seiner Coolness nicht mehr weiterkommt. Doch, doch, schöne Konfliktlinien, anständige Dynamik... Man wundert sich nur, wieviel Austern die Produzenten täglich so verfuttern, daß sie darauf kommen, die erpresserische Jugendgang als Ansammlung sauberer und wohlgewandeter Bürgerkinder zu zeigen, die aussehen, als hätten sie gestern noch eine dufte RTL2-Jugendclique abgegeben. Dabei brauchten sie sich doch nur ihre Protagonisten näher anzugucken, um zu lernen: Wer den Gymnasiastenblick nicht hinter sich lassen kann, dem bleibt die Naivität. Und die ist zum Heulen. Lutz Meier