Gretel in Kalifornien

■ Auch der Los Angeles International Airport nimmt Schaden: „Shooting Elvis“ von Robert Eversz taugt als Literatur und bleibt dabei ein tugendhafter Thriller

Die mittlerweile maschinenlesbare Durchschnitts-Thriller-Produktion nach den üblichen Bestsellerrezepten steckt fest. Serial Killer, Anwälte, Präsidenten, Journalisten und Ärzte allerlei Geschlechts, Plagiate und Zitatorgien allerorten – man mag das Zeug nicht mehr lesen.

Nicht nur weil überall die Formel blank durchscheint, sondern weil Thriller sich inzwischen unter dem Vorwand, „realistisch“ zu sein, regelrecht eskapistische Paralleluniversen geschaffen haben, die nur langweilen. Einzelfälle und Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel und lassen gelegentlich sogar die Hoffnung keimen, daß das Ganze die Kraft aufbringen könnte, sich zu regenerieren. Ein Buch wie „Shooting Elvis“ von Robert Eversz zum Beispiel ist ein Schritt in die richtige Richtung. Nina Zero sitzt in L.A. hinter Gittern als „schlimmster Alptraum, den die menschliche Gesellschaft haben kann“, als „asoziale feministische Killerin“, gegen die Lizzie Borden eine „Heilige“ war. Als die Figur also, aus der man heutzutage multimediale Thrillerheldinnen nach o.a. Formeln strickt.

Aber die Megäre heißt eigentlich nur Mary Alice Baker und hat als Gretel im „Hänsel & Gretel Baby Photo Studio“ die Bälger zum Grinsen gebracht, irgendwo in einer kalifornischen Kleinstadt, die allmählich von Suburbs für Pendler zugewuchert wird. Eines Tages bittet ihr zwar scharf aussehender, aber charakterlich recht unreinlicher Lover sie um einen Gefallen.

Und dann schlägt der Irrwitz zu, von dem hier nur verraten sein soll, daß der Los Angeles International Airport Schaden nimmt, ein Urinal von Duchamps geheimnisvollerweise durch La-La-Land gezerrt wird und eine Tankstelle in Flammen aufgeht.

Eversz' Kunst besteht darin, diese reichlich schräge Story als völlig plausibel und bei aller durchgeknallten Action als folgerichtig und normal zu inszenieren. Mary Alice Baker erzählt die Geschichte vom Landei, das ganz schön roh werden muß, um sich seiner Haut zu wehren. Ihre Sprache ist von Eversz anscheinend einfach dahingeschrieben, aber extrem tricky kalkuliert: mit wunderbar gemeinem Witz und als Medium einer stimmigen Person.

Das meine ich mit Hoffnungsschimmer: ein Thriller, der auch als Literatur taugt und trotzdem die Tugenden des Genres voll zum Krachen bringt. Raffinierte Nicht- Prätention eben. Thomas Wörtche

Robert Eversz: „Shooting Elvis“. Aus dem Amerikanischen von Giovanni König und Ditte König. Krüger Verlag, Frankfurt/Main 1997. 302 Seiten, 34 DM