■ Nord-Korea blockiert Verhandlung über Hilfslieferungen
: Keine Revolte im gußeisernen Staat

Nord-Korea hungert. Die internationalen Hilfsorganisationen warnen, daß die Nord-KoreanerInnen in den nächsten Monaten voraussichtlich weniger zu essen haben als die Menschen in Äthiopien während der Hungersnot 1985: kaum hundert Gramm Reis am Tag.

Besucher des abgeschotteten Landes berichten von leeren Küchen in Krankenhäusern und Fabriken; Bauern essen die Rinde von den Bäumen; in den Vorzeigekindergärten, die zum üblichen Programmpunkt für die wenigen Touristen gehören, schaffen apathische Kinder es kaum noch, die Jubellieder zu Ende zu singen; Rekruten rücken spindeldürr zum Militär ein. Süd-Korea bietet an, Getreide und andere Nahrungsmittel zu schicken.

Was aber tut der Norden? Er bricht die Gespräche darüber ab, weil die Vertreter Seouls nicht ganz exakt sagen können, welche Mengen sie schicken werden und zu welchem Termin.

Diese Kälte der Herrscher von Pjöngjang gegenüber dem Elend im eigenen Land scheint unvorstellbar. Aber sie ist nicht ohne bittere Logik: Denn der Hunger im „Arbeiterparadies“ ist längst Waffe im Kampf um politische Zugeständnisse. So will Süd- Korea staatliche Nahrungshilfe nur dann schicken, wenn der Norden sich endlich zu Friedensverhandlungen mit dem Süden bereit erklärt. Dagegen sträubt sich Nord-Korea, das nur über die Amerikaner verhandeln will. Die Vertreter Süd-Koreas wollten deshalb am Wochenende nur über private Spenden sprechen und konnten folgerichtig auch nicht — wie vom Norden verlangt — voraussagen, wieviel ihre Bevölkerung für die Brüder und Schwestern jenseits der Grenze zu geben bereit ist.

Der „liebe Führer“ Kim Jong Il in Pjöngjang hat es noch immer geschafft, sich jedes Zugeständnis teuer abkaufen zu lassen, weil alle Welt davor Angst hat, daß seine Soldaten die Region in Schutt und Asche legen. Jetzt pokert er mit dem Elend der Bevölkerung, denn er weiß sehr gut, daß sich der Süden vor einer Massenflucht der Hungernden aus dem Norden fürchtet. Je schlimmer die Not, desto größer die Bedrohung, lautet das zynische Kalkül. Kim Jong Il scheint eine Massenrebellion nicht befürchten zu müssen. Es scheint, daß er es geschafft hat, seine Untertanen in einem Grad zu terrorisieren und auszuhungern, daß sie zur Revolte nicht mehr in der Lage sind. Jutta Lietsch