Geschichte wechsel dich

■ Handkes „Zurüstungen für die Unsterblichkeit“ermüden im Thalia Theater

Die Welt ist eine blaue Käseglocke mit Fenster. Drunter brüten 1 Volk und 1 Idiot, was auf ein realistisches 50:50-Verhältnis verweist. Ein Ahnherr brütet auch, wütet sogar, was aber käseglockenmäßig gleich in der ersten Szene mit Herzschlag geahndet wird. Der weise Mann mit Bart, soviel ist klar, kann bei der Beantwortung der Sinnfrage inklusive Recht/Rache/Gerechtigkeit nicht mehr weiterhelfen.

Bleibt das Fenster. Was sieht der Hinausschauer? Blau mit Wolken. Das ist normal. Was aber sieht der Hineinschauer? Blau mit Wolken. Das ist nicht normal und will vielleicht schon etwas sagen. Könnte es sich doch um ein Königsblau und ein Symbol für Überschattung handeln. Dann hätte uns der Bühnenbildner Bernhard Kleber schwuppdiwupp auf Peter Handkes Grundkonstellation gestoßen: Der König und die dunklen Mächte.

„Was denkt ihr bei König? Bluter. Frührentner. Schachmatt.“Diesen Satz hat Peter Handke dem Häuptling ins Maul gelegt. Selbst scheint er an anderes zu denken: In seinem jüngsten Stück Zurüstungen für die Unsterblichkeit, das den Untertitel Ein Königsdrama trägt, steht König für Gesetzgeber und Gerechtigkeit.

Ein kleines „Enklavenvolk“, gebeutelt von Kriegen und Phantasielosigkeit, will sich befreien aus seiner hausgemachten glücklich-faulen Ohnmacht. Alle Hoffnung wird auf den Bastard Pablo (Achim Buch) gesetzt. Zur Welt gebracht von einer dämlichen Enklavenfrau, doch gezeugt von einem brutalen Invasor, soll er „Held“und „Führer“sein, mit einem „neuen Gesetz“eine „andere Gesellschaft“erzwingen und vor allem für „Geschichtsträchtigkeit“sorgen. Zur Seite steht ihm eine „schöne Wandererzählerin“(Sylvie Rohrer als Dirndl-Janis-Joplin), gegen ihn wirkt eine häßliche „Raumverdrängerrotte“mit Häuptling.

Handkes Drama ist voll von großen Begriffen, bedeutungsschwanger und sinnheischend. Was aber mit dem problematischen Vokabular gesagt werden soll, bleibt dunkel und verworren. Jens-Daniel Herzogs Inszenierung wirkt zwar der Schwere des Textes mit leichter Hand entgegen – etwa sind die bösen Raumverdränger eine amüsante pubertierende Jungengang – doch kann er trotz Kürzungen die Langatmigkeit der neuantiken Saga nicht überspielen. Vermutlich hätte statt der Entlarvung durch Komik genau das Bestehen auf den reaktionären, faschistoiden Momenten für eine spannungsgeladene, da provokante Aufführung gesorgt.

So aber kommt nach drei Stunden die Moral: Genau wie der Himmel hier wie dort blau ist, ist auch der gute Mensch böse und der Böse gut, und alle wollen geliebt werden. Die Wandererzählerin, die permanent Geschichte (Historie) mit Geschichte (Märchen) verwechselt, bläut es zum Schluß den Glockenhockern monologisch ein: Die Situation ist schlimm, könnte aber schlimmer sein, und das hier war nur Theater. Himmel.

Christiane Kühl