Wand und Boden: Drei Zelte sind mehr Stadt
■ Kunst in Berlin jetzt: Matt Mullican, Stadt im Regal, Thaddeus Strode
Nachdem Matt Mullican im Jahr seines DAAD-Stipendiums 1995 wirkungsvoll, wenngleich sparsam auftrat, indem er in der Neuen Nationalgalerie und im S-Bahnhof Alexanderplatz Flagge zeigte, könnte man seine jetzige Ausstellung im „Hofgarten am Gendarmenmarkt“ als tatsächliche Abschlußausstellung betrachten. Denn hier, im Obergeschoß eines neuen Bürogebäudes von Jürgen Sawade, zeigt Mullican das ganze Spektrum seiner Arbeiten. Radierung, Zeichnung, Skulptur, Installation, Videoarbeit und Computer Aided Design im Leuchtkasten.
Zentrales Moment der Ausstellung, die die Art Consulter Heimer & Döring in Kuratoren- Funktion für die Immobilienfirma Hines/Germany organisierten, ist zweifellos der „Nomadic pavillion“ von 1993, ein Stellwand-Geviert, das sich in einen roten, schwarzen, gelben, blauen und grünen Bereich unterteilt. Diese fünf Farbzonen stehen für verschiedene Seinsweisen in Matt Mullicans künstlerischer Kosmologie. Es geht um Subjektivität ohne Form, die Zeichen der Sprache, den symbolischen Raum der Kunst, die unbewußte Alltagsroutine und die pure Materialität ohne Bedeutung. In „o.T. (Monument)“ repräsentieren Sandsteinformen wie Ball und Quadrat sowie ihre verschiedenen Konfigurationen diese Farbzonen. Bei „o.T. (Lichtkästen)“ – zwölf Computerentwürfen für die Stadt als Bild – verweisen Kieselsteine auf die bedeutungslose Materie, und am Ende explodiert die Stadt alltagsblau in eine expressionistische Kristallsplitterarchitektur.
Nicht milles plateaux also, sondern nur fünf, die jedoch von einem Material ins andere und von einer Form in die andere übersetzt werden können, charakterisieren Mullicans Welt. Insoweit ist der Kalifornier, der in New York lebt, ein zweifellos beeindruckender, dennoch verspäteter klassischer Moderner. Dieses Verhängnis teilt er mit dem Architekten seines Ausstellungsraumes, dessen schwarzer Granitbau jedoch für eine wirkliche Überraschung gut ist: Schaut man die schwarzspiegelnde Außenfassade hoch, sieht man tatsächlich – nichts.
Bis 15.6., Do., Fr. 14–20, Sa., So. 11–20 Uhr, Französische Str.48
In diesem Design sollte man die Parkhäuser dieser Stadt halten. Jedenfalls außen. Innen dürften sie dann im Furnier-Look heimelige Atmosphäre verbreiten. Dieser Vorschlag stammt von Friederike Feldmann, einer der sechzehn KünstlerInnen, die das Parkhaus in der Behrenstraße zum Kunst-Projekt „Stadt im Regal“ umfunktionierten. Beispielhaft bemalte die Künstlerin ein Geviert im 14. Parkdeck im hölzernen Rustikalstil. Katharina Schmidt und Ursula Döbereiner tapezierten die Auf- und Abfahrten mit diversen Reifenspuren. Enne Haehnle stellte ein Rudel Hirsche in die Dämmerung des Betonbaus, dem Heike Klußmann eine verkehrstechnisch weißfluoreszierende Querteilung über zwei Ebenen verpaßte. Den beeindruckenden Steg aus Bauholz verdankt sie den Arbeitern von der Baustelle nebenan.
Zwischen zwei Betonpfeilern stapelte Daniela von Waberer formlose Latexsäcke: Dem Halbdunkel der Parkhausstadt entschlüpfen so hübsche rosarote Maden. Antje Dorn und Valeska Peschke könnten sich mit ihrem Projekt direkt auf Matt Mullican berufen, der über seine Leuchtkasten-Stadt meinte: „Drei Zelte sind mehr Stadt als das, was ich mache.“ Dorn/Peschke stellten noch rund zehn Zelte mehr auf, wobei manche wie Mausefallen aussehen, während andere als Umkleidekabinen durchgehen. Sie vermitteln in ihren absurden Formen doch eine gewisse Wohnlichkeit.
Die im Parkhaus gestapelte Stadt, deren Zootiere Christina Zück in Form mittelgroßer Farbfotos ausstellt, wirkt in allen Projekten urban, tadelfrei, gleichzeitig roh und offen genug, um auch das Herz städtischer Finsternis offenzulegen. Christine Schmutzlers „Nachfahrt“, Markus Strieders Auto-Installation zum Geschlechtsverkehr auf dem Dach des Parkhauses, Kerstin Drechsels Aquarelle nach Lesbenpornos, Birgit Schlieps „Ekkensteher“ und Michaela Schweigers Work in Progress, das zu neuartigen Stadtplänen führt, thematisieren diese Seite.
Tina Born nimmt in ihrer neugestalteten Pförtnerloge den Wunsch nach Sicherheit, der aus der Nacht der Stadt herrührt, auf die Schippe. Nirgendwo blinken die Kontrollämpchen bunter und sind die Überwachungsmonitore kleiner als in der Attrappe ihrer SIM-Control.
Bis 18.5., Mo.–Fr. 16–20, Sa., So. 12–20 Uhr, Behrenstraße 17-20
„I like it here...“, könnte man zum Parkhaus sagen. Aber das Zitat, das von Thaddeus Strode stammt, geht weiter, „perched on a pylon ... with my isolaton ...“. Es steht in einem Blatt geschrieben, das ein leeres blaues Meer zeigt, aus dem ein Holzpfahl ragt, auf den Strode eine Comicfigur montierte, die zweifellos über die unendliche Bläue unter sich meditiert. Es könnte ein Selbstporträt sein, ähnlich „Mine“, wo aus einem collagierten Comicgesicht eine schwere Denkwolke aufsteigt, die von einem eisenstachelbewehrten Gerät korsettiert wird.
„Boats and bogs“, Boote und Sümpfe, ist die Ausstellung mit acht kleinen und drei großformatigen Papierarbeiten des 1964 in Los Angeles geborenen Künstlers bei neugerriemschneider betitelt. Ein häßlicher, blonder, kurzbehoster Matrose, dessen Mütze ihn auf der „Other-side“ verortet, verspricht dann, „I'll take care of it“, und das klingt nicht gerade verheißungsvoll. Ihm gegenüber ist „lagoon bog“ an die Wand plaziert, die große Zeichnung eines veritablen Geisterschiffs, dessen Bug ein Schrumpfkopf mit dem Schild „I been there“ ziert.
Die klassische Art Jungenslektüre transzendiert bei Strode Biker-Zen, Comic, Surf- und Popkultur in eine ganz eigenständige Kosmologie, deren sympathischster Zug es ist, daß sie den „superstar shadow“ (wie eine weitere Arbeit heißt) thematisiert.
Bis 14.6., Di.–Sa. 11–18 Uhr, Goethestraße 73 Brigitte Werneburg
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