"Was tu ich mir an?"

■ "100 Jahre Mattscheibe": Fernsehkritiker Oliver Kalkofe über den täglichen TV-Wahnsinn und den Witz im Privaten

Morgen wird dem Fernsehen in „Kalkofes Mattscheibe“ bereits zum 100. Mal eine rüde Abreibung verpaßt (19.45 Uhr, Premiere, unverschlüsselt), wird fäkalisiert und unter der Gürtellinie geboxt. Dafür bekam Oliver Kalkofe (31) im vorigen Jahr den Grimme-Preis. Die Jury lobte: „Präzise, radikal und immer am Rande der Geschmacklosigkeit.“ Mit seinen Kollegen vom Frühstyxradio sorgte er sogar für eine kleine Privatradio-Revolution, als der neue ffn-Programmdirektor Peter Bartsch 1992 an der Absetzung der Comedy-Show scheiterte und statt dessen seinen Hut nehmen mußte.

taz: Was war das für ein Gefühl, den Programmdirektor zu kippen?

Oliver Kalkofe: Ein tolles Gefühl. Aber es war so anstrengend, daß wir den Triumph gar nicht auskosten konnten. Als es soweit war, waren wir damit beschäftigt, die Friedensverträge zu schließen, und plötzlich ging der den Korridor runter mit zwei Plastiktüten.

Mal angenommen, Sie selbst wären Intendant.

Das ist der furchtbarste Job, den es gibt. Man muß die Verleger und Besitzer besänftigen und jeden Tag auf einen Empfang zum Lachsschnittchenessen.

Sie haben mal gesagt, „Mattscheibe“ soll das Medium mit seinen eigenen Mitteln kritisieren.

Die „Mattscheibe“ soll nicht als ein medienpädagogisches Forum wirken, wo festgelegt wird: Wer das guckt, ist doof. Wenn es überhaupt einen Anspruch hat, dann ist es vielleicht der, mal hinter die Kulissen zu gucken und sich zu fragen, was machen die da eigentlich mit mir? Was tu ich mir da an? Wo ist der Wahnsinn versteckt? Das Problem ist doch: Das Fernsehen prägt unser Wirklichkeitsempfinden mehr als ein Großteil der politischen Entscheidungen.

Aber flutscht dieser Humor nicht inzwischen ebenso problemlos durch wie alles andere? Sie haben schließlich den Grimme-Preis für die Sendung bekommen.

Ich glaube schon, daß es noch funktioniert. Es wird von vielen inzwischen als normal hingenommen, daß es jemanden gibt, der mal anarchisch die Leute wegschlägt, die im Bild sind. Daß es inzwischen akzeptiert ist, bedeutet ja nicht, daß es nicht mehr funktioniert. Gefährlich wird es erst, wenn Sender versuchen, einen zu ihrem Spielball zu machen, da muß man aufpassen. Ich habe derartig viele Einladungen zu Talkshows, die sage ich zu 95 Prozent ab. Ich mache eine oder zwei im Jahr und das isses dann auch. Wenn ich wirklich zu Bärbel Schäfer ginge zum Thema „Ich hasse Volksmusik“ oder „Fernsehen macht doof“, dann wäre ich der Pausenclown. Der TV-Terminator, der irgendwo hingeht, um da einen Skandal hervorzurufen.

Andererseits sind die Klagen und Prozesse ja wohl auch eine Bestätigung.

Ich habe mich auch noch über keine Klage geärgert, und bisher hatte noch jede Klage einen Bumerangeffekt. Als aus der rechten Ecke die Klage gegen die „10 kleinen Glatzenköppe“ kam, wurde das Lied erst richtig populär. Und die Klage von Klaus Baumgart wurde von ihm angeleiert, weil er PR machen wollte für seinen Diätmittelscheiß. Er hat das so ernst durchgezogen, daß am Schluß bei den Leuten hängenblieb: Der Typ ist einfach blöde, hat keinen Humor und macht für Geld einfach alles.

Gibt es überhaupt Sendungen, die die Zuschauer nicht für blöd verkaufen?

Es gibt viele, die es bestimmt nicht wollen und es doch tun. Wenn man sich zu sehr damit beschäftigt, entdeckt man den Wahnsinn an Punkten, wo man ihn vielleicht besser hätte ruhen lassen.

Können Sie überhaupt noch Fernsehen gucken?

Aus dem Unterhaltungsbereich eigentlich nichts. Schmidt gucke ich manchmal freiwillig. Sonst schaue ich Filme und Serien. Mit großer Freude „Enterprise“, die „Simpsons“ oder „Akte X“.

Sollen Sie privat auch immer witzig sein?

Das ist komisch, aber man erwartet das hauptsächlich immer von Komikern. Ich habe überlegt, ob das bei Wickert auch so ist, daß der irgendwo reinkommt und es heißt: Hey, lies mal 'ne Nachricht vor. Interview: Thomas Winkler