Fast so schlimm wie im Westen

■ Der Kongreß Frauen in Naturwissenschaft und Technik besteht seit 20 Jahren

Hannover (taz) – Ein scharfe Resolution gegen die Expo 2000 hat der 23. Kongreß von Frauen in Naturwissenschaft und Technik am Sonntag auf seinem Abschlußplenum verabschiedet. Für die Kongreßteilnehmerinnen strotzen die Vorbereitungen zur Weltausstellung in Hannover geradezu von jener „Wissenschafts- und Technikgläubigkeit, die feministische Wissenschafts- und Technikkritik seit langem ablehnt“. Bei der Ausstellung, die vor allem Technik im Stil des Infotainments präsentieren wolle, seien ein hohes Defizit zu Lasten der öffentlichen Haushalte und Umweltbelastungen durch ein dreimonatiges Verkehrschaos in Hannover vorprogrammiert. In ihrer Resolution befürchten die Kongreßteilnehmerinnen, daß die Stadt Hannover für die Expo durch massive Polizeipräsenz von Drogenabhängien und Obdachlosen gesäubert werde.

Aus Anlaß ihres 20jährigen Jubiläums – der erste Kongreß von Frauen in Naturwissenschaft und Technik fand 1977 in Aachen statt – zogen die Veranstalterinnen gestern eine Bilanz ihrer Bemühungen um Geschlechterparität in Wissenschaft und Technik. Die Kongresse selbst und die Frauennetzwerke, die sich auf ihnen präsentieren, hätten das Selbstbewußtsein von Studentinnen und Frauen naturwissenschafticher oder technischer Profession sicher in den vergangenen Jahrzehnten gestärkt, sagte die Diplomphysikerin Helene Götschell vor der Presse. Westdeutschland sei zusammen mit Österreich und der Schweiz dennoch weiterhin europäisches Schlußlicht bei den Studentinnen in den technisch-naturwissenschaftlichen Fächern und auch beim Frauenanteil in den entsprechenden Berufen. Im Fach Informatik sei sogar der Anteil der Studentinnen von einst 30 auf jetzt 5 Prozent abgesunken. Auch die ostdeutschen Länder, so sagte die Diplomingenieurin Kira Stein, näherten sich seit der Wende den schlimmen westdeutschen Zuständen rapide an. Dort sei etwa der Frauenanteil im Studienfach Chemie von 40 auf 7 Prozent zurückgegangen.

Damit Geschlechterparität in den technischen und naturwissenschaftlichen Berufen erreichbar wird, reicht für Kira Stein eine gezielte Frauenförderung an den Hochschulen nicht aus. Für sie ist eine grundlegende Studienreform und ein neues feministisches Technikverständnis notwendig. In entsprechenden Studiengängen werde immer noch nach den Prinzip „vorgetragen und abgeprüft“ verfahren, das auf den kaum kommunikationsfähigen männlichen Einzelkämpfer abgestellt sei.

Auf dem Kongreß, an dem etwa 450 Zuhörerinnen und 150 Referentinnen teilnahmen, wurde allerdings auch konstatiert, daß Frauen nach Ende ihres naturwissenschaftlichen oder technischen Studiums immer noch geringere Berufsaussichten als Männer mit gleichem Abschluß haben. Jürgen Voges