Vatertag am Snake Pit Lake

Cowboys und Kampftrinken, „Weiber“ und Waffen: Wenn sich die Leipziger Wildwest-Fans Amerika nach Hause holen, geht es ganz besonders deutsch zu. Ein Himmelfahrtsausflug ins „Naturbad Südwest“  ■ Von Andrea Böhm

Der Ritt der Häuptlinge führte durch Grassteppen, durch öde, von Mensch und Tier verlassene Felslandschaften. Niemand hielt die einsamen Reiter auf. Die Mustangs waren unermüdlich.

Die Pferde stoppen abrupt vor der blankgewienerten Harley-Davidson und dem türkis gespritzten Chevrolet. Dann geht's im Galopp zurück – vorbei am Snake Pit Lake, der eigentlich „Naturbad Südwest“ heißt, und vorbei am Lagerplatz des einsamen Trappers, der eigentlich Bauarbeiter und längst nicht so einsam ist, wie er gern möchte. Peter Brügmann setzt sich seine Biberfellmütze auf, füllt einen seiner beiden Vorderlader mit Schwarzpulver, stellt sich auf den kleinen Hügel vor der „Stetson- Bank“ und feuert einen Schuß über den Snake-Pit Lake in Richtung Dieskaustraße. Mit dem Vorderlader kann er umgehen. Heute, zur Himmelfahrtsfete des „Ersten Leipziger Western-Country Clubs“, der Symbiose aus Amerikanisierung und Vatertagstradition, darf er es auch zeigen. Die meisten sind nur schon zu blau, um seine Kunst zu würdigen.

„Früher waren ja bloß Stichwaffen erlaubt“, seufzt Trapper Brügmann, dem in seiner Lederkluft bei strahlendem Sonnenschein nun doch warm wird. Stichwaffen sind etwas für Indianer, deren Nachahmung die Partei dem DDR-Volk in „Indianistik-Clubs“ gern erlaubte – man identifizierte sich schließlich mit den ersten Opfern des imperialistischen Klassenfeindes. Als Junge hatte Brügmann die „Söhne der großen Bärin“ aus den Indianerbüchern von Liselotte Welskopf-Henrich imitiert. Cowboy oder Trapper zu spielen war aus ideologischen Gründen verpönt. Erst die Wende brachte die Freiheit.

Über die freut sich am Vatertag nicht jeder so wie Trapper Brügmann. Wer noch nüchtern genug ist, klagt im Cowboyhut über die Wildwestmanieren der Wessis und trauert der Zeit nach, als der Vatertag noch „Herrentag“ hieß und ganze Brigaden saufend übers Land zogen. „Damals“, sagt ein ehemaliger LPGler aus Mecklenburg, der mit Colt an der Hüfte und seinem Ponyverleih angereist ist, „hatten die Leute noch Arbeit und Geld zum Ausgeben.“ Heute kriegt er seine Fuhrwagen nicht mehr voll, und sein Hof mit Rindern und Schweinen bringt im Zeitalter von BSE und Schweinepest auch mehr Ärger als Geld. Aber er legt Wert darauf, daß er eine „Ranch“ betreibt. Keinen Hof. Der Cowboyhut als Trostpflaster.

Gleich neben Brügmanns Trapperzelt, vor dem seine Hausschuhe ordentlich abgestellt sind, haben stolze Besitzer ihre amerikanischen Schlitten zur Schau gestellt. Hinten hochgebockt, vorn tiefergelegt, mit breiten Schlappen, aufgemotzten Motoren und ausgetüftelten Dekorationen der Rückfenster: Baseballmützen, Stofftiere, Indianerschmuck und „Böhse Onkelz“-Aufkleber. „Pontiac Firebirds“ neben chromblitzenden Vans und Pick-up-Trucks in Camouflage. Dazwischen Verkaufsstände mit der Ausrüstung, wie man sie am Leipziger Snake Pit Lake eben braucht. Cowboymäntel, Stiefelsporen, Zuckerwatte für die Kinder, Totenkopfringe für den Heavy-Metal-Fan und Fahnen fürs Campingzelt. Besonders beliebt: die Flagge der amerikanischen Südstaaten. Gut verkauft sich auch der Jackenaufnäher mit dem Satz: „Wir Deutschen fürchten nichts außer Gott.“

Stärken wir uns erst einmal etwas. Das Feuerwasser, wie ihr Roten sagt, pflegt die Gemüter noch besser aufzulockern als der Tabak. Ihr habt euch mit dieser Flüssigkeit schon ganz gut angefreundet, wie?“ [...] Der Name Feuerwasser stammt nicht aus den Gedanken der roten Männer“, antwortete der Häuptling kalt. „Die weißen Männer haben ihn uns auf die Lippen gegeben.“

Über die Lippen der Mitglieder des „Ersten (inoffiziellen) Leipziger Junggesellenvereins“ ist an diesem Vormittag schon viel Feuerwasser geflossen, doch noch hält das Rasierwasser im Kampf um die Lufthoheit die Alkoholfahne in Schach. Die Herren „Brauni“, Schulze und „Krone“, der eigentlich Kronenburg heißt und an normalen Tagen der eher ernüchternden Tätigkeit als Leichenbestatter nachgeht, haben sich nicht in Westernkluft geworfen, sondern die Vatertagsausrüstung angelegt: T-Shirts mit kopulierenden Karnickeln, Nelken im Knopfloch und Spazierstöcke, an denen sich ganze Batterien von Schnapsfläschchen einklinken lassen. „Wir sind aber noch total nüchtern“, versichert Schulze mit leicht glasigem Blick. „Ist doch erst elf Uhr.“

Bis siebzehn Uhr müssen sie nun im 3.000-Mann-Bierzelt des „Ersten Leipziger Western-Country Clubs“ auf die Hauptattraktion – ebenfalls ein Kulturimport aus den USA – warten: Damenölcatchen. „Weibergättschen“, sagt Schulze. Also säuft man in noch friedlichem Nebeneinander, bis „die Gesichtszüge entgleisen“, wie der Veranstalter auf seinem Flugblatt verheißt: Cowboys, Trapper, Biker, Zivilisten mit Jogginghosen und „Kampftrinker“-Lätzchen sowie Skinheads, die in diese Nationale der Trinker wie selbstverständlich aufgenommen werden. Hin und wieder wagt sich einer auf den Plastik-Ochsen, der per Fernsteuerung in ein Rodeo-Substitut verwandelt werden kann und den seßhaftesten Reiter als offiziellen „Rodeomeister der Messestadt Leipzig“ ermitteln soll. Wer stürzt, fällt in eine luftgepolsterte Plastikwanne. Praktisch, weil leicht abwaschbar.

Der mürrische Kundschafter hatte schon lange kein Weib mehr angesehen. Mit dem Namen Wolfshäuptling und den Erinnerungen an den stolzen Delawaren-Stamm aber rührten sich in ihm die Empfindungen eines Mannes, der von dem Zauber einer echten Tochter der Prärie erregt wurde.

Auch einen deutschen Cowboy hält nichts mehr auf dem Plastikbullen oder der Bierzeltbank, wenn endlich die ersten „Stribberinnen“ mit Namen wie Ramona, Tamara oder Wendy auf der Bühne erscheinen und zu dröhnender Disco-Musik Verrenkungen vorführen, die einen Bandscheibenvorfall befürchten lassen. Wer die nötige Feinmotorik noch besitzt, pfeift auf den Fingern. Die anderen johlen und starren ehrfürchtig, wie Ramona-Tamara- Wendy – nunmehr bis auf ihre Lackstiefel vollends entblößt – einem Volltrunkenen erst die Bibermütze klaut und dann sein Gesicht mit ihrem fulminanten Busen watscht. Die wenigen Freundinnen und Ehefrauen beobachten das Schauspiel mit überlegenem Lächeln – offensichtlich erleichtert ob ihrer unbegründeten Angst, hier könnte Claudia Schiffer auftreten. „Gug dir mol die Schänkel an!“ krittelt die eine, während die andere zustimmend nickt. Und das Schamhaar auf Büroklammergröße zurechtstutzen – das können die Gattinnen der Leipziger Möchtegerncowboys auch selbst. Im übrigen haben die Damen, so der Veranstalter, keinen Grund zur Beschwerde. Schließlich hatten sie am Abend vor dem Himmelfahrts-, Vater- und Herrentag ihre eigene „Erotic Show“ mit muskelbepackten „Männer-Stribbern“. Hier, am Snake Pit Lake, herrscht Gleichberechtigung.

Als dann wenig später zwei Damen, die laut Veranstalter „extra aus Holland zu unserer Himmelfahrtsfete gekommen sind“, ihre spärliche Ketten- und Lederbekleidung ablegen, hält es auch den Nachwuchs nicht mehr beim Ponyreiten oder der Waffensammlung von Trapper Brügmann. Achtjährige steigen auf die Biertische oder werden von Muttern zwecks besserer Sicht auf den Arm genommen, als sich die „Stribberinnen“ heißes Wachs auf die Brust träufeln.

Zumindest in der Interpretation von family values unterscheidet sich das Leipziger Volks- und Countryfest von amerikanischen Veranstaltungen ähnlicher Art. Sex wäre dort tabu; dafür gäbe es mehr Waffen zu sehen als Trapper Brügmanns Vorderlader und die „größte osteuropäische Winchester-Sammlung“, die der „Schützenverein Victoria“ aus Delitzsch mit seinem Chef und selbsterklärten „internationalen Waffenexperten“ Matthias Lüttich präsentiert. Lüttich, mit grauer Mähne, Cowboyhut und verspiegelter Sonnenbrille, schätzt an den Amerikanern deren ungestörtes Verhältnis zu Waffen und den Umstand, daß sie ihre Kinder schon früh an selbige gewöhnen. Deutschland, meint er, sei da auf dem Weg in die richtige Richtung.

Der Zeltschlitz öffnete sich. Tokei-ihto kehrte vom Bad zurück und begann sich sofort dem Wohl seines Gastes zu widmen. Der Kundschafter war nicht gewohnt, daß sich jemand seiner annahm, und ließ erstaunt und dankbar alles mit sich geschehen. Tokei-ihto half ihm aus seinem zerrissenen Hemd und aus seiner alten braunen Samthose heraus und ließ sich von den Frauen in einer Schale Bärenfett geben, das die Haut von Staub und Schweiß reinigte.

Bärenfett gibt es nicht am Snake Pit Lake, dafür aber Babyöl. Damit dürfen nun drei Herren aus dem Publikum, deren Gesichtszüge noch nicht ganz entgleist sind, die Catcherinnen „Lady Chantal“, „Lady Tiger“ und „Black Woman“ einschmieren, die sich mit eher spärlichem Einsatz ein paar Ringkämpfe auf der Bühne liefern.

Nein, Trapper Brügmann, der nun wirklich was vom Wilden Westen versteht, kann sich nicht vorstellen, daß es bei den Indianern ähnliche Bräuche gegeben hat. Aber, wie gesagt, Indianer spielen ist derzeit ja nicht mehr so gefragt. Einmal ist er nach der Wende in den USA und Kanada gewesen, hat ein paar Wochen mit Packpferd Abenteuerurlaub gemacht. Wenn er nicht schon 52 Jahre alt wäre und seine Frau sein Hobby nicht „zu geräuschvoll“ fände, würde Trapper Brügmann ernsthaft ans Auswandern denken. Aber so heißt das nächste Ziel Lübeck, wo ein großes Trapper- und Wildwesttreffen mit Vorderlader- Wettschießen stattfinden wird. Das, sagt Brügmann, sei schließlich seine Spezialität.

Er hockt vor seinem Lagerplatz, wo es jetzt tatsächlich einsam geworden ist, weil im großen Bierzelt die Hüllen fallen – und wartet, daß ein paar Kinder kommen, die seine Trapper-Expertise zu schätzen wissen. Denen er zum Beispiel erklären kann, daß nicht alles, was so aussieht, ein Tomahawk ist. „Nur die mit der Eisenklinge. Die aus Stein heißen Streithammer. Oder auf indianisch: Schädelspalter.“

Am Eingang zum Snake Pit Lake ist derweil die erste Schlägerei im Gang. Der Stamm der Kahlschädel, gut fünfzehn Skinheads, prügelt sich mit behaarten Vatertagsausflüglern. Trapper und Cowboys gucken zu: „Das ist halt so am Vatertag.“

Zitate aus: Liselotte Welskopf- Henrich: „Der junge Häuptling“. Altberliner Verlag, 1951/1996)