Mord im religiösen Auftrag

Die göttliche Begründung für das politische Attentat auf Jitzhak Rabin. Zwei neue Bücher über Fundamentalismus und Nationalismus in Israel  ■ Von Ludwig Watzal

Der Mord am israelischen Ministerpräsidenten Jitzhak Rabin im November 1995 hat ein Phänomen sichtbar werden lassen: die politisch-religiöse Rechte in Israel. Zwei Fragen beschäftigen seitdem das Land. Stehen Rechtsextremismus und jüdischer Staat im Widerspruch? Und daran anschließend, warum sollten Israelis gegen rechte Tendenzen und den Faschismus gefeiter sein als andere Völker? Das Buch von Amnon Kapeliuk legt für beide Phänomene Zeugnis ab. Eine von der politischen Rechten und großen Teilen des religiösen Establishments erzeugte Pogromstimmung gegen die Rabin- Regierung habe den geistigen Boden bereitet, auf dem die Yigal Amirs gedeihen konnten. Der Attentäter und seine Sympathisanten waren keine „Verrückten“, sondern Intellektuelle, die die Lehren des Judentums wörtlich nahmen und in die Tat umsetzten.

Die Ultras begriffen Rabin als einen Volksverräter

Die fünf Kapitel des Buches sind aufregend, weil sie so unglaublich sind. Es werden die Tat und die Motive des Täters, die Anzeichen für den Mord, die Rolle der Religion und der Rabbiner, der jüdische Fundamentalismus sowie die „Verwicklungen“ des Shin Bet, des israelischen Inlandsgeheimdienstes, genauestens geschildert. Abschließend stellt der Autor besorgt die Frage: Quo vadis Israel?

„Es war ein angekündigter Mord“, so Kapeliuk. Kurz nach Beginn des Friedensprozesses versuchte die Rechte in Israel, der Regierung Rabin die Legitimität abzusprechen, weil sie keine „jüdische Mehrheit“ hinter sich habe. Im Knesset war er auf die Stimmen der palästinensischen Israelis angewiesen. Der Mörder Rabins war zwar „der nette Junge von nebenan“, aber eben auch das Produkt einer religiösen Erziehung, die immer mehr dem säkularen Verständnis des Zionismus, der Staatsräson Israels, zuwiderlief. Für Amir war Rabin ein „Verräter am jüdischen Volk“, der „das heilige Land“ an die „Feinde Israels verschenkt“. Mit seinem Bruder Haggai plante er seit 1993, Rabin zu töten. Daß es Amir so leicht gemacht wurde, lag auch an der laxen Handhabung der Sicherheitsvorkehrungen. Der Shin Bet wußte seit Monaten, daß ein Attentat auf Rabin geplant ist, ging aber den Hinweisen nicht nach. Man erwartete ein Attentat von einem Palästinenser, nicht von einem jüdischen Israeli. Dies galt als Tabu.

Ohne die Unterstützung und die religiöse Dispens der Rabbiner hätte Amir es nicht gewagt, Rabin zu töten. Bei der Vernehmung Amirs berichtet dieser, daß zwei Rabbiner Rabin als Rodef und Mosser bezeichnet und gesagt hätten, er verdiene den Tod. Beide Begriffe stammen aus der jüdischen Gerichtsbarkeit des Mittelalters. Ein Rodef, das heißt ein Verfolger, bringt einen Juden in Todesgefahr. Wenn es keine andere Möglichkeit gibt, muß dieser Verfolger laut Gesetz getötet werden, um anderes Leben zu retten. Mosser ist ein Spitzel oder einfach jemand, der einen anderen ausliefert, vor allem Juden oder ihre Güter an Goijm (Nichtjuden). Genau wie ein Rodef kann auch er getötet werden. Yigal Amir hat quasi im religiösen Auftrag gehandelt. „Das habe ich für Thorat Israel, Am Israel und Eretz Israel getan, die auf immer zusammengehören“, sagte er vor Gericht. Diese Dreifaltigkeit von Gesetz, Volk und Land bilden das Credo der religiösen Nationalisten.

Für die Fundamentalisierung Israels ist der Sechstagekrieg vom Juni 1967 ein Ereignis von messianischer Bedeutung. Damit begann, so Kapeliuk, die irrationale Phase des Judentums. Plötzlich wurde alles heilig: Großisrael, die besetzten Gebiete, die Gräber der Stammväter und Stammütter, Gottes Versprechen an Abraham, die Pflicht, zu vernichten und zu rächen, war nicht mehr Gegenstand des Gebetes, sondern ausführender Befehl. „Ein gewaltiger Apparat von Rabbinern und religiösen Seminaren, Schulen und Jugendbewegungen begannen mit der Gehirnwäsche einer ganzen Generation und setzte ihr in den Kopf, der Messias stehe schon vor der Tür, und nur die Bösewichte verzögern sein Kommen.“

Diese Geisteshaltung eines großen Teils der Rabbiner wird von Kapeliuk in erschreckender Weise ausgebreitet. Rabbiner Lion aus Kirjat Arba hält den Massenmörder Goldstein für einen Märtyrer und setzt ihn mit den Opfern des Holocaust gleich. Der Rabbiner Nahum Rabinowitz, der Leiter des militärischen Rabbinerseminars in Maale Adumim, hat kurz vor Rabins Ermordung diesen als Mosser bezeichnet und seine Hinrichtung ohne vorheriges Urteil verkündet.

Ihr Blut ist kostbarer als das der Goijm

Der Rabbiner Jitzhak Ginsburg, auch er ein Bewunderer Goldsteins, schreibt in seiner Broschüre über sein Idol: „Für Gott sind die Juden das auserwählte Volk. Deshalb ist ihr Blut roter und ihr Leben kostbarer als Blut und Leben der Goijm, selbst wenn sie den Juden nicht schaden.“

Unverständlich ist, daß die israelische Regierung unter Peres gegen diese religiösen Fundamentalisten, deren Namen und Lehre man kannte, nicht vorgegangen ist. Schon der Übergang zur Tagesordnung nach dem Massenmord von Goldstein war ein Fehler. Obwohl die große Mehrheit der Israelis für die Räumung der Extremistensiedlung im Zentrum von Hebron war, lehnte Rabin dies ab.

Dieses Buch ist wichtig, die Vorgänge sind gut belegt, und spannend ist es bis zu letzten Seite. Für Israel-Interessierte sollte es zur Pflichtlektüre werden. Im gewissem Sinne das Pendant zu Kapeliuk ist der Essay von Aron Ronald Bodenheimer, dem ehemaligen Chefarzt der psychiatrischen Abteilung vom Universitätskrankenhaus in Tel Haschomer. Sein schmales Buch hinterläßt auf den ersten Blick ein zwiespältiges Gefühl, da es sich wie eine Apologie auf Yigal Amir liest. Für den Autor war es kein Mord, sondern eine „Hinrichtung“. Amir habe aus religiöser Überzeugung gehandelt.

Der Terrorist, der hinter dem Mord stehe, sei der „allmächtige monotheistische Gott“, „der Herr“. „Wer über Amir richtet, der richtet über Gott.“ Er sei der Schuldige, wenn er die beiden Testamente der Welt offenbart habe. Folgerichtig hat der Autor auch viel Positives über den Fundamentalismus zu sagen. „Wo man Fundamente findet, da stößt man auf Fundamentalismus.“

Der israelische Staat ist eine Sünde am Judentum

Die „Rechtfertigung“ des Mörders und der Fundamentalisten ist aber auch als gehörige Provokation zu verstehen, die Bodenheimers Vergleich von Wilhelm Tell und Yigal Amir erahnen läßt. Der Autor will mit seinen Ausführungen über den Fundamentalismus auch gegen den allgemeinen Trend anschreiben, der den Fundamentalismus pauschal verurteilt. Wohin die Aufweichung führe, zeige das Christentum. „Gutes tun und Edles denken, im übrigen ist alles erlaubt, wenn es nur niemandem zu sehr weh tut.“

Für den Autor ist der Staat Israel ein Sündenfall an der Judenheit, eine „Sünde am Judentum“. Nicht die Fundis haben Israel gegründet, sondern „Ben Gurion mit seinen linken Genossinnen und Genossen“. Israel sei amerikanisiert und von Touristen überlaufen. „Diesem Westen ist Israel verfallen. Und hat daran seine Substanz verloren.“

Letztendlich bietet Bodenheimers Buch aber keine Erklärung für Rabins Tod. Es zeigt aber die Problematik auf, vor der das Judentum heute steht. Säkularisten und Fundamentalisten streiten um das gleiche Objekt: Israel. Wie es in Zukunft verfaßt sein soll, bleibt der Geschichte anheimgestellt. Kapeliuk und Bodenheimer haben auf sehr verschiedene Weise deutlich gemacht, daß auch die Religiösen sich auf eine göttliche Logik berufen können. Daß diese auch tödliche Folgen haben kann, haben Amir und Goldstein gezeigt.

Amnon Kapeliuk: „Rabin. Ein politischer Mord. Nationalismus und rechte Gewalt in Israel“. Vorwort von Lea Rabin. Aus dem Französischen von Miriam Magal, Palmyra Verlag, Heidelberg 1997, 220 Seiten, 34 DM

Aron Ronald Bodenheimer, „Rabins Tod, Ein Essay“, Chronos Verlag, Zürich 1997, 101 Seiten, 24 DM

Zum Thema jüdischer Fundamentalismus im säkularen Staat ebenfalls: Moshe Zimmermann, „Wende in Israel. Zwischen Nation und Religion“. Aufbau Verlag, Berlin 1996, 127 Seiten, 12 DM