Mythen mit gehobenen Kanten

■ Das Ensemble des spanischen Nationalballetts begeisterte bei den Hamburger Ballett-Tagen

Einfach Tanz, dazu einen, der unmittelbar ans Herz geht, zeigte die Compañia Nacional de Danza aus Madrid, Gastcompagnie bei den diesjährigen Ballett-Tagen in der Staatsoper. Das Hamburger Publikum, von Neumeier in letzter Zeit ausgiebig mit verstiegenen Charakterstudien traktiert, dankte es ihr mit anhaltendem Applaus. Drei Stücke stellte die Compagnie aus ihrem Repertoire vor, alle choreographiert von ihrem künstlerischen Leiter Nacho Duato.

Der frühere Tänzer und Hauschoreograph beim Nederlands Dans Theater liebt die üppige Geste, raumgreifend, mit ungeheurem Tempo, kreiert in Spiralen, Drehungen und Hebungen einen Tanz, der sich in einer endlosen Woge selbst davonträgt. Doch kehrt er immer wieder an seinen Ausgangspunkt zurück, wodurch die Choreographien eine hermetische Geschlossenheit bekommen. Ein paar Ecken und Kanten baut er ein, doch vermögen diese kaum an der glatten Oberfläche zu kratzen.

In Cautiva zu – grauenvoll übersteuerten – Streicherkompositionen, die um eingesprochene Texte von James Joyce und Ezra Pound arrangiert sind, führt Duato sein Ensemble gleich einem Chor, der die Duette und Trios kommentiert. Für Bühne und Kostüme zeigt sich der Choreograph ebenfalls verantwortlich. Markant-plakative Bilder entwirft er hier gern, läßt plötzlich einen Kettenvorhang von der Decke fallen, in den eine Tänzerin zum Schluß hineingehängt wird.

Die Bausteine der Bewegung bleiben in Por Vos Muero ähnlich, formieren sich nur gradliniger. Tanz- und Volksweisen Spaniens aus dem 15. und 16. Jahrhundert inspirierten Duato zu einer Reihung von Anspielungen auf das Mittelalter. Ein Maskentanz, Weihrauch schwingende Mönchsgestalten in wehendem Umhang, neckische Narren – eigentlich belanglos, einzig sinnig im rhythmisch-beschwingten Einklang mit der wunderschönen Musik.

Das Ritual und der feierliche Moment bestimmen immer wieder den Tanz. Die Tänzer präsentieren wenig sich selbst. Selten dreht eine Compagnie dem Publikum so häufig den Rücken zu, wie in Anbetung dessen, was hinter der leuchtenden Bühnenrückwand zu liegen scheint. Doch auch hier fehlt es Duato an Konsequenz. Schnörkel in der Bewegung vermeiden jegliche Tiefe, zu schnell wird über eine mögliche Andacht hinweggehuscht.

Mediterrania, das der in Valencia geborene Choreograph aus seiner Liebe zum Mittelmeer, inspiriert durch all die damit verbundenen Traditionen unterschiedlicher Kulturen, kreiert hat, gerät denn auch hart an die Grenze zum gefälligen Ethno-Pop. Vielversprechend beginnt das Stück mit einer aufziehenden schwarzen Vogel-(Tänzer-)Schar.

In einem Solo tritt der 40jährige Choreograph selbst auf. Zwar zeigt er, daß er immer noch ein charismatischer Tänzer ist, doch bleibt sein Palmwedeltanz bedeutungslos. Das ausgezeichnete Ensemble entschädigte jedoch für vieles und ließ den Abend zu einem tänzerisch beeindruckenden Erlebnis werden.

Marga Wollf