Die Straße zur Kirche von Ntarame

■ Verstörend uneindeutig: Der chilenische Künstler Alfredo Jaar und sein groß angelegtes „Ruanda-Projekt“ auf Station in der Galerie Franck und Schulte

Alfredo Jaar ist ein Künstler, der die politischen Themen liebt. Entsprechend schmal ist bei ihm der Grat zwischen Scheitern und Gelingen. Die Arbeit, die derzeit in der Galerie Franck und Schulte ausgestellt wird, gehört zweifellos in letztere Kategorie. Im August 1994, kurz nach den Massakern der Hutu an den Tutsi, reiste der 41jährige gebürtige Chilene mit Wohnsitz New York nach Ruanda und brachte von dort Bilder mit, die zum Ausgangspunkt einer ebenso schlichten wie verstörenden Rauminszenierung wurden.

In den abgedunkelten Galerieräumen hängen drei große Fotos: Eines zeigt ein saftiges grünes Teefeld, ein anderes einen von Gestrüpp dicht gesäumten Hohlweg, das dritte das Dach eines Hauses, darüber blauer Himmel, weiße Wolken – Idyllen allesamt und drei Stationen an der Straße zur Kirche von Ntarame, in der an einem Sonntag im Frühjahr 1994 während der Messe 400 Tutsi ermordet worden waren.

Die übrigen Aufnahmen hat Jaar im Flüchtlingslager Rubacu gemacht: Man sieht zwei Jungen von hinten, die sich im Arm halten, und einen dritten, von dem man nur den Blick erkennt. Tausendfach reproduziert, liegen die Dias in einem riesigen Haufen auf einem 3,50 mal 5 Meter großen Leuchttisch. Mehr als die Augenpartie des Fünfjährigen, der, wie der Begleittext erläutert, beide Elternteile verlor und nach seiner Ankunft im Lager vier Wochen lang kein einziges Wort redete, zeigt Jaar nicht.

Aber das reicht auch. Jaar ergreift nicht Partei, unternimmt keine Schuldzuweisungen, er stellt nur so objektiv wie möglich dar: In den Augen des Kindes liegt ein Blick, der so schrecklich ist, daß es einen unwillkürlich schaudert, eine Mischung aus unendlicher Müdigkeit und blankem Haß. Ein Opfer auf dem Weg zum Täter. Doch mit bereitliegenden Lupen kann man noch mehr entdecken. Das Augenpaar löst sich auf in seine – fototechnisch bedingten – Einzelteile. Die Rasterung, die in der Nahsicht zutage tritt, läßt das Bild noch unwirklicher erscheinen, als es ohnehin schon ist.

Dieses Foto ist kein Porträt im herkömmlichen Sinn. Es ist ein Fanal, eine Allegorie auf das historische Perpetuum Mobile Gewalt, die davon erzählt, wie labil der Frieden zwischen den Menschen ist. Ulrich Clewing

Galerie Franck und Schulte, Mommsenstr. 56, Mo.–Fr. 11–18 Uhr, Sa. 11–15 Uhr, bis 17. Mai