Eine selbstherrliche Machtdemonstration

■ Albaniens Präsident Berisha läßt im Parlament das Mehrheitswahlrecht absegnen. Die Oppositionsparteien drohen mit einem Boykott der Wahl am 29. Juni

Wien (taz) – Zwei Monate nach Bildung einer Allparteienregierung ist von einer gemeinsamen Politik in Albanien nichts mehr zu sehen. Nachdem sich die zehn in der Regierung vertretenen Parteien am Dienstag nicht auf einen gemeinsamen Gesetzesvorschlag über den künftigen Wahlmodus einigen konnten, ließ Staatspräsident Sali Berisha am späten Abend seinen eigenen Wahlvorschlag vom Parlament in einer kurzfristig eingerufenen Dringlichkeitssitzung absegnen. Nach Berishas Vorstellung soll beim Urnengang am 29. Juni nur nach dem bestehenden Mehrheitswahlrecht abgestimmt werden, auch die zugunsten seiner Demokratischen Partei festgelegten Wahlkreise sollen unverändert bleiben. Außerdem will der Staatspräsident den Urnengang mit einem Referendum zur Einführung der Monarchie verbinden und notfalls persönlich die Mitglieder der Wahlkommission bestimmen. Alles Schritte, die zwar nach der derzeitigen Verfassung möglich sind, die jedoch von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) als undemokratisch betrachtet werden.

Für OSZE-Vermittler Franz Vranitzky galt als Grundvoraussetzung seiner Mission in Albanien, daß das von Berishas Demokratischer Partei gleichgeschaltete Parlament die Arbeit bis zum Wahltag ruhen läßt und alle politischen Entscheidungen solange nur von der Allparteienregierung getroffen werden. In ihr sind die Demokraten stimmengleich mit der Opposition aus Sozialisten, Republikanern und Liberalen vertreten. Bei Patt-Abstimmungen, so die OSZE-Empfehlung, sollte Vranitzky schlichtend eingeschaltet werden. Zuletzt geschah dies am vergangenen Freitag, als sich Demokraten und Opposition darauf verständigten, den Wahlmodus aus einer Mischform von Mehrheits- und Verhältniswahlrecht festzulegen. Über die Größe der Wahlkreise sollte noch debattiert, ein Referendum zur Einführung der Monarchie erst nach einer Stabilisierung der Verhältnisse erörtert werden.

Die Opposition reagierte gestern mit Empörung und drohte, den Urnengang zu boykottieren. In einer Erklärung der Sozialisten wurde Berisha als „heimtückischer Schwindler“ beschimpft, die Tageszeitung Kohe Jone kommentierte: „Berishas Katz- und Maus- Spiel stürzt Albanien ins Chaos.“

Die Rebellenkomitees und linken Parteien beharren darauf, daß das allein von den Demokraten dominierte Parlament keine Entscheidungskompetenz hat. Denn per Parlamentsbeschluß könnte Berisha sonst jederzeit wieder den Ausnahmezustand verhängen, Sondergesetze erlassen und selbst den kommenden Wahlgang annullieren lassen. Auch die OSZE erkannte gestern den Ernst der Lage. Vranitzky wird schon heute in Tirana erwartet. Karl Gersuny