Dicht daneben ist auch vorbei

■ Finanzminister Waigel verfehlt bei der Neuverschuldung das Kriterium für die Einführung des Euro – es sei denn, die FDP fällt um und stimmt Steuererhöhungen zu

Bonn (AFP/taz) – Steuern erhöhen oder Euro-Kriterien verfehlen, so lautet für die Bundesregierung die Frage, seit gestern das neueste Haushaltsloch entdeckt wurde. Steuerausfälle von knapp unter zwanzig Milliarden Mark wird heute die Steuerkommission bekanntgeben. Das Gremium erarbeitet seit zwei Tagen hinter verschlossenen Türen die neueste Steuerschätzung, die Zahl sickerte schon gestern „aus Koalitionskreisen“ durch.

Bereits zuvor waren heftige Überlegungen angestellt worden, wie das zu erwartende neue Haushaltsloch zu stopfen sei. Als ziemlich sicher gilt der vorgezogene Verkauf von Telekom-Aktien. Zwei Milliarden Aktien zum Kurswert von knapp vierzig Mark gehören dem Bund. Ein Zehntel davon soll dem Vernehmen nach veräußert werden. Das reicht allerdings bei weitem nicht. Deshalb rechnet jetzt selbst Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) mit einer höheren Staatsverschuldung. Vor Journalisten wies er gestern darauf hin, daß er eine erhöhte Neuverschuldung nicht erwäge, diese sich aber aus „den Tatsachen“ ergebe. Die Tatsachen, das sind für Waigel die über vier Millionen Arbeitslosen, für die Unterstützung bezahlt werden müsse. Die Ausgaben für den Bundeshaushalt hingen zum Teil von der Arbeitsmarktentwicklung ab, die er nicht beeinflussen könne. Steuererhöhungen, so schob Waigel nach, seien für ihn nur ein letztes Mittel.

Dieses letzte Mittel ist für die FDP allerdings überhaupt kein Mittel. Deren Vorsitzender Wolfgang Gerhardt betonte gestern, daß er Steuererhöhungen ausschließe. Deshalb blieben noch die Möglichkeiten, im Haushalt weiter zu sparen oder die Neuverschuldung anzuheben.

Eine Erhöhung der Neuverschuldung paßt Waigel überhaupt nicht. Denn bislang hatte er sich immer für eine strikte Einhaltung der Maastricht-Kriterien ausgesprochen. Nach seiner Lesart lag die gerade noch zulässige Marge der Neuverschuldung bei 3,0 Prozent des Bruttoinlandproduktes. Das bedeute, daß eine Ausweitung der ursprünglich für 1997 mit 53,3 Milliarden Mark veranschlagten Neuverschuldung ausgeschlossen wäre.

Nun deutet Gerhardt aber eine Änderung der harten Währungshaltung der Bundesregierung an. Die Stabilität des Euro, so erläuterte er im Stern, sei auch bei 3,1 oder 3,2 Prozent nicht ernsthaft gefährdet. Dem FDP-Chef ist eine Verfehlung des Euro-Kriteriums lieber als eine Steuererhöhung, denn den Kampf gegen letztere hat die FDP zu ihrem Markenzeichen gemacht. Kommende Woche findet der Bundesparteitag der Liberalen statt – kaum auszumalen, wie die Delegierten reagieren, sollte die Bundesregierung eine Steuererhöhung beschließen.

Waigel hingegen beharrt nach Angaben seines Ministeriums auf der Zielvorgabe 3,0 Prozent. Zwar läßt ihm der Maastricht- Vertrag einen größeren Spielraum, doch wenn er selbst das harte Kriterium verfehlt, kann er sich gegenüber den unsicheren Euro-Kandidaten kaum mehr als strammer Währungshüter aufspielen. Der Minister will den Fraktionen von Union und FDP nach der Steuerschätzung heute abend Maßnahmen zur Schließung der Haushaltslücke präsentieren. dr Bericht Seite 4