Bis das Erzählen ins Wanken kommt

■ Zum Beginn der Freitagslesungen griechischer Literatur in der Kulturbrauerei

Der Werbetexter Christos Deimesis ist verschwunden. In einer Sommernacht, mitten in Athen. Er war ein guter Werbetexter, drehte auch mal kurze Filmclips und war ein manischer Aufzeichner seines Lebens. Jedes Gespräch, jedes Geräusch hielt er mit Hilfe eines kleinen schwarzen Diktiergerätes fest. Als das Diktiergerät verschwindet, verschwindet kurz darauf er selbst. Oder nicht?

Scheinbare Gewißheiten lösen sich auf, bis das Erzählen selbst ins Wanken kommt in dem Kriminalroman „Der griechische Herbst der Eva-Anita Bengtson“ von Dimosthenis Kourtovik, aus dem der Autor heute abend in der Kulturbrauerei vorlesen wird. Kourtovik eröffnet eine neue Veranstaltungsreihe, in deren Rahmen jeweils an einem Freitag im Monat Schriftsteller und Journalisten aus Griechenland aus ihren Werken vorlesen werden. Organisiert, geplant und ins Werk gesetzt wird die neue Reihe von der Buchhandlung Chronika oder, besser: Xponika.

Chronika ist ein sehr schöner kleiner Buchladen am Marheinekeplatz in Kreuzberg, in dem es seit zwei Jahren nicht nur, aber doch vor allem auch griechische Literatur aller Art zu kaufen gibt. Wer sich für griechische Gegenwartsliteratur interessiert, wird hier mit Sicherheit fündig, denn Chronika ist nicht nur der einzige deutsch-griechische Buchladen in Deutschland, von hier aus wird auch der Vertrieb griechischer Literatur für das ganze Bundesgebiet organisiert. Alles Griechische ist hier also praktisch immer vorrätig. Hier stellen auch griechische Künstler oder deutsche Künstler „mit Griechenlandbezug“ in häufig wechselnden Ausstellungen ihre Arbeiten aus. Zur Zeit sind zum Beispiel erst kürzlich entdeckte historische Griechenlandfotos aus dem Jahr 1931 zu sehen. Sie stammen von Wilhelm Cauer, einem Professor für Eisenbahnkunde an der TU, und vermitteln ein sehr schönes Bild des Alltags im Griechenland des beginnenden Jahrhunderts.

Außerdem geben die beiden Buchhändler Michael Laser und Charalampos Ionnou, die beide zusammen Chronika „sind“, noch ein zweisprachiges, 32seitiges Monatsmagazin für griechische Kultur heraus. Name: Chronika, wie sonst?

Und heute abend beginnt also die neue Lesereihe, die griechische Literatur, in Deutschland immer noch reichlich unterrepräsentiert, bekannter machen soll. Den Anfang macht Dimosthenis Kourtovik, Journalist, Schriftsteller, Biologe, Sexualanthropologe und Übersetzer aus Athen. In den siebziger Jahren kam Kourtovik nach Deutschland, um zu promovieren, gründete und leitete aber statt dessen bald eine griechische Arbeiterbühne in Stuttgart. Nach einigen Jahren ging er nach Wroclaw (Breslau), um seine Promotion über „die Entstehung der menschlichen Sexualität“ doch noch fertigzustellen.

Anfang der neunziger Jahre lehrte er dann an der Universität Kreta Sexualkunde und vergleichendes Tierverhalten. Dazwischen übersetzte er 61 (!) Bücher aus acht verschiedenen Sprachen ins Griechische (zuletzt auch „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“) und schrieb selbst 11 Bücher. Auf deutsch ist von ihm nur der „Der griechische Herbst der Eva-Anita Bengtson“ erschienen, in dem Kourtovik die Suche einer schwedischen Journalistin nach jenem verschwundenen Werbetexter Deimesis schildert. In schöner, knapper, präziser Sprache beschreibt Kourtovik den Prozeß der Verwirrung, an dessen Ende die Trennlinie zwischen Realität und bloßer Vorstellung endgültig verschwimmt. Ein vielversprechender Auftakt für Chronikas Projekt der Freitagslesungen aus Griechenland. Volker Weidermann

Heute, 20 Uhr, Kulturbrauerei, Knaackstraße 97, Eintritt: 8/6 DM. Nächster Termin: 13.6., 20 Uhr, Perikles Monioudis.

„Der griechische Herbst der Eva- Anita Bengtson“ ist bei dialogos prosa erschienen und kostet 19,80 DM