Wenn die Zeit flattert und bebt

■ Ballett-Gala endete mit Choreographie-Talent aus Dresden

Haben ihn die vielen Schwangerschaften in seinem Ensemble dazu inspiriert? John Neumeier entließ Liebespaare gleich im Dutzend auf die Bühne. Die gesamte Gala zum Abschluß der XXIII. Ballett-Tage war nur ihnen gewidmet: Helena und Demetrius, Katharina und Petrucchio und all den anderen Liebenden, die überwiegend aus Shakespeare-Stoffen stammen.

Jedem Paar gab Neumeier einen eigenen Kanon. Desdemona und Othello heben und senken sich, auf halber Spitze nur, andächtig nebeneinander. Es war anrührend, wie Gigi Hyatt vor ihrem Weggang nach Amerika noch einmal mit Gamal Gouda den Othello von 1986 tanzte. Und es erscheint unfaßbar, daß diese Künstlerin am Höhepunkt ihrer Ausdruckskraft aufhören will, nur weil sie Mutter geworden ist.

Janusz Mazon verabschiedete sich als zartfühlender Romeo von seiner Bühnen-Julia; ihre Körper sind längst einander entrückt, da legen sie noch einmal die Handflächen aneinander, zaghaft.

Bestechend auch Silvia Azzoni, Lloyd Riggins, der Berliner Gast Maximiliano Guerro – und immer noch Ivan Liska, dessen ausdrucksstarke Kraft einfach nicht nachläßt.

Ein herzliches „Hurra“an John Neumeier. Er ließ den 32 Jahre jungen Stephan Thoß aus Dresden mit dem Hamburger Ensemble choreographieren. Inspiriert von den Sonetten Shakespeares, die von der Liebe zu einem Mann und zu einer Frau berichten, erschuf er ein bewegendes Stück voll sperriger Sinnlichkeit.

Ein Jüngling (Alexandre Riabko) lehrt den alternden Dichter wieder die Faxen und Gesten des Liebesspiels. Eine reife Frau (Silvia Azzoni) hält dem Dichter den Mund zu und entfernt sich, um erstmal Platz zu schaffen für ihre raumgreifende Energie. Um ein überdimensionales beschriebenes Knüllchen lieben und ringen sie mit der Zeit. Mit der subjektiv erlebten, die flattert und bebt (Otto Bubenicek), und mit der objektiven Zeit (Jiri Bubenicek), die unaufhörlich voranschreitet und den Dichter überlebt. Ein reizvoller Kontrast zur Musik von William Lloyd Webber ist die Stille, in der sich die Figuren über weite Strecken begegnen.

Leider können die rein aufs Ballett fixierten Tänzer der Hamburger Oper den markanten Stil von Thoß kaum bedienen. Der Antrieb kommt aus dem stockenden und dann befreiten Atem. Trotzdem ein „Bravo“für diese Kreation.

Zum Schluß wurde es dann doch noch peinlich: Neumeier inszenierte einen unterhaltsam gemeinten Truppenaufmarsch seiner Liebespaare. Ein „Pfui“für die Beliebigkeit dieser Selbstinszenierung. Und insgesamt ein „Pfui“für die Streicher. Neumeier sollte Musik vom Band nehmen, wenn er in Hamburg Ballett zeigen will.

Gabriele Wittmann