Breminale – Spaß im Matsch

■ Pfingstsonntag hui, Montag pfui: Eindrücke einer Kölnerin von Bremens Kulturfest

Erschreckt fahre ich herum, als von hinten eine grauhaarige Frau auf mich zutritt und fragt: „Haben Sie Lust, an einem Streßtest teilzunehmen?“Ich hatte überhaupt nicht erwartet, daß mich im kühlen Norden jemand anspricht, stammle ganz verdattert: „Nein. Nein danke.“Die Frau entfernt sich sofort. Als ich dann doch neugierig werde, ist die Frau verschwunden. Schade. Unter mir tobt das bunte Treiben der Breminale. Durch die Hitze steigt mir sofort ein unangenehm süßer Geruch von gebrannten Mandeln in die Nase. Auf den ersten Blick scheint es hier nur Freßbuden und zwei große Zelte zu geben.

Da entdecke ich einen schäbigen kleinen Wohnwagen mit der abgeblätterten, völlig ausgeblichenen Aufschrift „Zugvögel“. In seinem Schatten wird ein kleiner, total verdreckter Junge in einem Speißkübel geduscht. Er quiekt vor Vergnügen und reckt sich mit ausgestreckten Armen dem kühlen Wasserstrahl aus einem Schlauch entgegen.

Der Lärmpegel geht hier, im Vergleich zu rheinischen Festivitäten, gen Null. Ein kleines, blondes Mädchen rutscht mit Wonne auf ihrem nacktem Po im Schlamm hin und her. Links neben mir seufzt ein Mittvierziger mit Blick auf die Schlammschlacht neidisch: „Mensch, das is'n richtiges Vergnügen.“Ich setze mich zu Kalle Dütschke, dem Macher der Matschecke, auf eine Holzbank vor dem Wohnwagen. Strahlend blaue Augen fixieren mich, als er mir sein Leid über gestrichene Gelder für die Breminale klagt. „Hier regiert der Kommerz. Die Kultur von früher ist auf dem Rückzug“, bedauert er und schüttelt energisch seine dunkelbraunen, tonverschmierten Locken. Ich höre von den alten Tagen der Breminale mit Theater, Musik und Film. „Wenn du jetzt hier was für Kinder machst“, sagt er nachdenklich und schaut auf seine nackten, matschverkrusteten Füße, „wirst du wenigstens nicht angemacht, was für blöde Sachen du geschaffen hast“.

Ich schlendere zwischen den Buden Richtung Hauptzelt. Am Stand mit dem Maskenmalen halte ich kurz inne. Dort hängt, scheinbar komatös, auf einem Barhocker ein Mädchen, dessen Gesichtsfarbe ihrem orangeroten T-Shirt exakt gleicht. Ihre dünnen Beinchen sind ineinander verschränkt und baumeln gelangweilt herab. Als ein wenig später eine kleine Tigerin vom Stuhl herunterspringt, ist sie sichtlich froh, die Bemalung in der Hitze hinter sich zu haben. Die Bratwurst-Verkäufer machen heute einen Minusrekord. Auch die Bierstände sind recht mager besucht.

Es ist Pfingssonntag nachmittag. Am blauen Himmel bilden sich weiße Wolkenhaufen und der Wind frischt auf. Zwischen Schmuckständen eingeklemmt steht ein Wagen mit „Fun-Autoschildern“. Drinnen sitzt eine unscheinbare, mittelblonde Frau von ungefähr dreißig. Mißmutig starrt sie über ihren Brillenrand, den Kopf schwer in ihre Hände gestützt. Eingerahmt von Schildern wie „I love Kellys“, „Böhse Opelz“oder „Camping m8 blöd“, erwartet sie sehnsüchtig ihren Feierabend. Die Holzbänke und -tische werden nur spärlich genutzt. Meist gönnen nur junge Eltern ihren Kleinen eine Ruhepause. Vier finnische Matrosen in Seemannsuniform ziehen ihre Mützen vom kahlgeschorenen Schädel. Plötzlich bricht ein ohrenbetäubender Lärm aus dem Konzertzelt los. Es klingt wie ein Rauschen im Radio und hat die Lautstärke von einem startenden Flugzeug. Eine zierliche Punkerin, schwarz-blond gestreifte Haare mit diversen Ringen in Mund und Ohren, meint fachmännisch zu mir: „Das ist der Soundcheck von Atari Teenage Riot“– und grinst. Dann erzählt sie mir noch begeistert etwas von einem Klo mit Musik, das aber leider außer Betrieb sei. Ihre Sätze gehen fast in dem nun einsetzenden Basswummern unter. Die Luft vibriert dadurch so stark, daß einem im Magen ganz flau wird. Ein schwarzer Mischlingshund beantwortet den Lärm mit wütendem Gebell. Ich verschwinde aus diesem Getöse und halte mich in Richtung Ruderclub Hansa. Endlich herrscht wieder Stille. Ein Ruderer hängt völlig erschöpft vornübergebeugt in seinem Kanu. Zwei in einem schnittigen Motortboot rufen ihm hämische Kommentare zu. Der Himmel hat sich jetzt schwarzgrau zugezogen und es fängt an zu regnen. Zeit für mich, den Heimweg anzutreten. Auf dem Rückweg zwänge ich mich an einem buntgewürfelten Haufen von Mittzwanzigern vorbei, die auf den Einlaß zum Konzert warten. Die unscheinbare Brillenträgerin mit den Autoschildern hängt immer noch gelangweilt über dem Verkaufstresen.

Kalle Dütschke winkt mich noch einmal zu sich. „Es kommt darauf an, den Menschen wenigstens noch Impulse zu geben, sich mit anderen Dingen als Konsum und Gewalt auseinanderzusetzen“, meint er. Ein Idealist.

Laute Musik und Wortfetzen kämpfen gegeneinander an, bunte Glühbirnen beleuchten die Zelte, in denen das kulturelle Abendprogramm beginnt. Aber auch von den 25 Mark Eintritt wird keine der Gruppen reich. Bei dieser „Breminale“scheint alles, was schön ist, (fast) umsonst und draußen.

Kerstin Kegel, Köln