Ruderschläge eines Dichters

■ Wortfracht, in andere Sprachen „über-gesetzt“: Die Jahresausstellung im Deutschen Literaturarchiv in Marbach zeigt Paul Celan als Übersetzer

Kein Wunder, daß Paul Celan Übersetzer wurde, wuchs er doch schon viersprachig auf. Als Jude in Czernowitz, das bis 1918 noch zur k.u.k. Monarchie gehörte, sprach er im Elternhaus deutsch und auf der Straße rumänisch. Für einen Großteil der Bevölkerung war Jiddisch Umgangssprache, und in der hebräischen Volksschule kam die nächste Sprache dazu. Im Gymnasium lernte Celan Französisch, Latein und Griechisch, dann studierte er Romanistik. Als die Russen das Land besetzten, lernte er auch noch Russisch. Und schließlich lebte Celan ständig in einer Art Exil, als Jude in Bukarest, als Rumäne in Wien und als deutschsprachiger Dichter in Paris (mit französischem Paß). Auf seinem Grabstein steht „poète autrichien“.

Unter dem Titel „Fremde Nähe“ widmet das Deutsche Literaturarchiv in Marbach seine Jahresausstellung „Paul Celan als Übersetzer“. Berühmt geworden ist er durch seine „Todesfuge“, die selbst Celan für „lesebuchreif gedroschen“ hielt. Hier hatte endlich einer das Leid der Juden in eine poetische Form gegossen, die man sogar als Deutscher, mit einem leichten Schaudern, ästhetisch genießen konnte. Ironischerweise und passend zur Ausstellung erschien die „Todesfuge“ zuerst in einer Zeitschrift in Bukarest, auf rumänisch.

Celans erste Übertragungen sind in dem Inselbüchlein „Das kleine Blumenbuch“ zu sehen, in das er in seiner gestochen kleinen Handschrift neben die deutschen auch die russischen, französischen, rumänischen und englischen Namen schrieb und hinten eine getrocknete Herbstzeitlose hineinlegte. Aber erst in Paris, wo er Lehrer an der Eliteschule École Normale Supérieure war, begann er ernsthaft zu übersetzen: französische und rumänische Surrealisten und das einzige, ziemlich absurde Theaterstück, das Picasso schrieb. Es wurde 1944 in der Wohnung von Leiris uraufgeführt, Regie führte Camus, die Hauptrollen spielten Sartre, Beauvoir und Queneau.

Der Arche Verlag zahlte an Celan für diese Übersetzung nicht nur das Honorar für die übersetzten Zeilen, sondern auch „für die Ruderschläge“, mit denen er den Text in die andere Sprache „über-gesetzt“ hat. Dieses von Celan abgewandelte Heidegger-Wort deutet an, wie seine Übersetzungen zu betrachten sind. Oft wurde ihm vorgeworfen, es sei mehr Celan als Original in seinen Texten, einige Male wurden sie deswegen abgelehnt. Auch, und das ist eine Überraschung, seine Übertragung von Simenons Maigret-Romanen. Sichtlich frustriert von der mediokren Vorlage, erledigte Celan diesen Brotjob nur widerwillig und lieferte die zweite Übersetzung, „Maigret und die schrecklichen Kinder“, erst nach telegraphischer Mahnung viel zu spät ab. Seine Lektorin beschwerte sich und vermutete, Celan habe „kaum selbst daran gearbeitet, sondern sich irgendeinen Dilettanten dafür genommen“. Er mußte zugeben, dieser Dilettant selbst gewesen zu sein.

Lieber und auch besser arbeitete er, wenn er die Gedichte eines Geistesverwandten übersetzte. Vor allem bei den russischen Autoren war das der Fall, bei Mandelschtam, den er als „Bruder Ossip“ anredete, Chlebnikov, Jessenin, Majakowski und Jewtuschenko. Bei diesen Wahlverwandten (auch bei Shakespeare, Rimbaud, Char, Michaux) sieht man gut, wie die Übersetzungsarbeit in Celans eigenes Schaffen eingreift. Und die stilistischen und inhaltlichen Veränderungen, die er an den Originalen in großem Maß vornimmt, sind für das Verständnis seiner Lyrik und seines persönlichen Rückzugs hinter sein Werk erhellend.

Ein Anstoß für Celan, sich zu verstecken – celare heißt „etwas verbergen“ –, waren auch die unausgesetzten und unhaltbaren Vorwürfe von Claire Goll, er habe Gedichte ihres Mannes Yvan Goll plagiiert. Kurz vor seinem Tod 1950 hatte dieser Celan gebeten, Gedichte von ihm zu übersetzen. Mit der Witwe zusammen wurden dann zwei Bände angegangen, aber der Pflugverlag in St. Gallen lehnte die Übertragungen ab, er wollte „Yvan Goll verlegen und nicht eine zu entfernte Nachdichtung von Paul Celan“. Claire Goll übersetzte allein, und zwar, wie der Vergleich zeigt, ziemlich schlecht, und die wenigen guten Ausdrücke hat sie aus Celans Manuskript. Seit 1953 aber verschickte sie bündelweise und meistens anonym Briefe an Verlage, Rundfunkanstalten und Kritiker. Sie war durch nichts zu bremsen und hörte erst in den sechziger Jahren damit auf. Celan antwortete öffentlich nie auf diese Vorwürfe, die von einigen Kritikern übernommen und mit allerlei Antisemitismen angereichert wurden, aber in seinen Gedichten erkennt man deutlich sein Erschrecken und den stetigen Rückzug, bis zu seinem Freitod.

All das und noch viel mehr ist in der großen Ausstellung nachzulesen, die, wie immer in Marbach, viel Papier in Vitrinen präsentiert und wenig von sinnlich abwechslungsreicher Gestaltung hält. Da muß man eben durch, sich ansonsten mit einigen Bildern und Fotos begnügen und mit dem wie immer wunderbaren und ausführlichen Katalog. Georg Patzer

Deutsches Literaturarchiv/Schiller-Nationalmuseum, Marbach am Neckar: „Fremde Nähe – Celan als Übersetzer“. 10. Mai bis 26. Oktober 1997, geöffnet täglich 9–17 Uhr. Marbacher Kataloge 50, 608 Seiten, 40 DM