: Traurige Heringe
Zu lang oder zu dünn, zu grau oder gar süßlich: In Berlin ging das 34. Theatertreffen zu Ende ■ Von Petra Kohse
Natali Seelig, die in „Draußen vor der Tür“ mit dem Rücken zum Publikum steht, die Achseln zuckt und plötzlich zu fliegen versucht. Und Sepp Bierbichler, der als Kasimir in Horváths Stück das „a“ immer so hoffnungsvoll dehnt, wenn er „Karoline“ sagt. Karoline wie Herzline.
Viel mehr Details gibt es nicht, die einem nach drei Wochen Theatertreffen in Berlin in den Sinn kommen. Dabei überbot sich die lokale Presse mit festlich gestimmten Berichten, und den Kultursenator übermannte gar die Vision von einem „Euro-Theatertreffen“. Aber was hier geladen wurde, war nicht wirklich kräftig. War sorgfältig, aber dann zu nichts entschieden, war fröhlich, aber nicht wirklich froh. Das vielleicht war ein Trend in diesem Jahr: wie unfroh viele auf das Leben blicken, wie wenig sie haben, um das Dasein trotz seiner ganzen Miserabilität mal einen Moment lang zu lieben. Ein Armwedeln, ein „a“...
Dies soll als „Tableau“ das deutschsprachige Theater repräsentieren? Es liegt wohl auch am Jurymodell. Fünf Kritikfunktionäre müssen auf einen Nenner kommen. Und sind hinterher mit sich im reinen. Äußerst politisch sei das Treffen gewesen, betonte Sigrid Löffler bei der Schlußdiskussion am Sonntag, und auch jung, das sei ja offensichtlich. Renate Klett wiederum freute sich, mit Sasha Waltz' Berliner Off- Tanzproduktion „Allee der Kosmonauten“ das „Theater an den Rändern“ ins Zentrum gebracht zu haben. Dann bemerkte Dieter Kranz, daß es im Osten gutes Theater gebe, selbst wenn nichts davon vertreten war, Gerhard Jörder erläuterte seine Fleiß bei der Suche, Michael Merschmeier nickte, und Festivalleiter Thorsten Maß lobte das Engagement aller.
Politisch? Thematisch ja. Um Arbeitslosigkeit geht es in „Top Dogs“ vom Theater Neumarkt Zürich, für das ich keine Karte hatte, eins zu null gegen mich. Um Arbeitslosigkeit geht es auch in „Kasimir und Karoline“ in der Regie von Christoph Marthaler vom Schauspielhaus Hamburg. „Bemerkenswert“ (Satzungskriterium) ist an dieser Arbeit, daß sich Marthaler ein richtiges Stück vorgenommen hat. Dabei betreibt er dann aber doch wieder in erster Linie Typenkunde. Nicht wie Kasimir mit scheinbarer Notwendigkeit immer tiefer trudelt, wird gezeigt, sondern was für ein trauriger Hering er ist.
Während dies aber immerhin auf sehr hohem künstlerischem Niveau stattfindet und auch nicht unfroh ist, höchstens langwierig, diskreditierte Thirza Bruncken ihre – ebenfalls Hamburger – Inszenierung von „Stecken, Stab und Stangl“ gleich von Anfang an. Der Text, den Elfriede Jelinek nach der Ermordung von vier Roma im Burgenland geschrieben hat, ist das Rollkommando einer Vorwurfshaltung gegen alles, jedes und jeden. Und was macht Thirza Bruncken? Sie sattelt in Sachen Medienschelte auf und behandelt das Ganze als Fernsehshow, obwohl eine solche ja schon im wirklichen Leben vereinbartermaßen eine Trottelveranstaltung ist.
Das Politische wird also gleich drangegeben. Statt dessen ein betont artifizieller Umgang mit dem Text gesucht, der aber bloße Parodie des Trotteltums bleibt – geschenkt. Schön allerdings der buchstäblich schwankende Boden: die Riesenluftmatratze von Jens Kilian, auf der die Figuren anfangs ganz selbstverständlich herumwatscheln. Später aber macht sich Bruncken auch diesen Effekt kaputt, wenn sie alle auf und nieder springen läßt, damit es bestimmt jeder merkt, wie tief die Leute in dem versinken können, worauf sie mit Füßen treten.
Das nächste „politische“ Paar, „Des Teufels General“ von Zuckmayer in der Regie von Frank Castorf (Berlin) und Borcherts „Draußen vor der Tür“ von Andreas Kriegenburg (München), macht da schon eines bessere Figur. Nachkriegsstücke voller Leute, die nicht schuld sind. Ästhetisch zählen beide Arbeiten zu den reichsten des Treffens (Rhythmus, Spontaneität, hurra!), wenngleich nicht zu den besten dieser Regisseure. Leider untermauert Castorf trotz aller szenischen Respektlosigkeit letztlich auch bloß die Tragik der Figur des Fliegergenerals Harras, und Kriegenburg kann die Jammerlappigkeit des Heimkehrers Beckmann nicht dadurch weginszenieren, daß er ihm statt Projektionsflächen immerhin Figuren gegenüberstellt.
So wurde man auf die Dauer ganz mißmutig und konnte sich selbst nicht mehr leiden, wie man im Parkett vor sich hin knöcherte und das meiste entweder zu lang oder zu dünn fand, zu grau oder gar süßlich. Ganz schlimm wurde es schließlich mit Elmar Goerdens „Ivanov“ von Tschechow aus Stuttgart. Zum zweiten Mal dabei, zeigte der ehemalige Assistent von Andrea Breth nun eine Inszenierung, die in bedeutungshuberischer Langsamkeit an der Oberfläche herumkriecht und sich dabei in Chargentum und Depression spreizt – „spielerischen Reichtum“ nennt es Dieter Kranz, die Königsmacher sind unter uns!
Dazu paßt, daß das Theatertreffen unterderhand zum Wettbewerb umdeklariert wurde. „Top Dogs“ erhielt als ganze Produktion einen Förderpreis von 3sat, und für die Presse wurde formuliert: „Das Zürcher Theater Neumarkt hat gewonnen“. Auch gegründet hat man das Theatertreffen 1964 als Wettbewerb. Nur vier von zehn Inszenierungen kamen damals nach Berlin – Widerstand gegen eine Klassifizierung? Im 34. Jahr wurden die Theater in dieser Sache nun ausgetrickst. Zur Förderpreis- Jury gehörte übrigens auch 3sat- Chef Walter Konrad, der die Gelegenheit umstandslos zu einem zehnminütigen Eigenlob nutzte – selbstsicher, optimistisch und eindeutig politisch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen