Mykonos-Kronzeuge widerruft

■ "Quelle C", ein ehemaliger Geheimdienstler, schreibt jetzt Lobeshymnen auf das iranische Regime und beschuldigt oppositionelle Volksmudschaheddin. Wurden Angehörige im Iran unter Druck gesetzt?

Berlin (taz) – „Quelle C“ ist versiegt. In einem Brief widerruft der beim Berliner Mykonos-Prozeß als Kronzeuge fungierende Abolqassem Mesbahi seine Aussage. Wörtlich heißt es in dem der taz vorliegenden vierseitigen Schreiben: „Heute weiß ich sicher, daß das Komitee für Sonderangelegenheiten nicht existiert.“ Vor Gericht hatte Mesbahi erklärt, eben jenes Komitee habe den Auftrag für den Mord an vier oppositionellen iranischen Kurden am 17. September 1992 im Berliner Restaurant Mykonos gegeben. Nach Mesbahis Aussage sollten dem Gremium neben Irans Geheimdienstminister Ali Fallahian auch der Religiöse Führer Ali Chamenei, Staatspräsident Ali Akbar Haschemi Rafsandschani und Außenminister Ali Akbar Welajati angehören – die oberste Führung der Islamischen Republik.

Vor zwei Wochen hat bereits ein anderer, als „Quelle B“ bekannter Zeuge aus dem Mykonos- Prozeß, seine Aussage nachträglich zurückgezogen – verbunden mit dem Hinweis, sein im Iran lebender Vater sei verhaftet worden. Der während des Prozesses von der iranischen Führung als Mesbahi enttarnte Zeuge „Quelle C“ hatte daraufhin gegenüber dem Magazin Focus seine ursprünglichen Angaben bekräftigt. Oppositionelle Exiliraner weisen daraufhin, daß Mesbahis Frau und seine vier Kinder noch im Iran leben. Sie seien als Druckmittel gegen den Kronzeugen benutzt worden.

Das auf persisch verfaßte und auf den 9. Mai datierte Schreiben Mesbahis ist in weiten Teilen eine Lobeshymne auf Irans Staatsführung. Der sich „Soldat des verehrten Führers der iranischen Revolution“ Ajatollah Chomeini und „seiner Heiligkeit Ajatollah Chamenei“ nennende Autor bezeichnet den „islamischen Iran“ als „großes Opfer des blinden Terrorismus“ und kritisiert „jegliche Reduzierung der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen mit der Islamischen Republik Iran seitens der europäischen Staaten“ als „Hilfe für die Unsicherheit der strategischen Region des Persischen Golfes“.

Indirekt, aber deutlich macht der Autor die oppositionellen Volksmudschaheddin für das Berliner Attentat verantwortlich. Er habe vor Gericht entschieden erklärt: „Falls man die Indizien, welche auf die Beteiligung von Personen im Iran an den Aktionen außerhalb Irans hinweisen, bearbeiten und ihnen nachgehen würde, stieße man auf Leute, die mit der Ideologie dieser Gruppe im Iran verblieben sind, um die üble Propaganda von Massud Radschavi außerhalb Irans zu vervollständigen.“ Radschavi ist der Chef der vom Irak aus agierenden Volksmudschaheddin Irans, einer häufig als stalinistisch bezeichneten Organisation, die den Nationalen Widerstandsrat Iran dominiert. Der Widerstandsrat verrichte „mit Unverschämtheit für die Bagdader Regierung Söldnerarbeit“, heißt es in dem Schreiben. Der Mykonos- Anschlag wird als „bewaffneter Angriff einiger Personen“ bezeichnet. Vor Gericht hatte der geflohene iranische Geheimdienstler Mesbahi dafür seine ehemaligen Kollegen verantwortlich gemacht.

Iraner, die den von der deutschen Polizei abgeschotteten Mesbahi persönlich kennen, halten den Brief vom Schriftbild her für authentisch, verweisen jedoch auf einen unterschiedlichen Stil gegenüber früheren Schreiben und Erklärungen des gleichen Autors. Sie vermuten, der iranische Geheimdienst habe ihm die Feder geführt. Mesbahis Haltung gegenüber der Islamischen Republik und dem Republikgründer Chomeini sei „grundverschieden zu dem, was in dem Brief steht“, heißt es aus dem Umfeld des ersten Präsidenten der Islamischen Republik, Abol Hassan Bani Sadr. Der im Exil in Paris lebende Bani Sadr hatte Mesbahi dem Berliner Gericht vermittelt.

„Durch das Mykonos-Urteil haben die Konservativen im Iran ihr Gesicht verloren“, meint ein Bani Sadr nahestehender Exiliraner. Dadurch drohe ihnen bei den am 23. Mai anstehenden Präsidentschaftswahlen eine Niederlage. Mit dem Brief würden der Religiöse Führer Chamenei, der diese Fraktion unterstützt, und sein Spitzenkandidat, Parlamentspräsident Ali Akbar Nateq Nuri, „reingewaschen“.

Am vergangenen Donnerstag hatte der Generalbundesanwalt erklärt, er sehe von einer Anklage gegen Irans Staatsführung in Sachen Mykonos ab. Begründung: „Überwiegende öffentliche Interessen“ nach Paragraph 153 der deutschen Strafprozeßordnung. Eine nähere Erläuterung dazu verweigert die Bundesanwaltschaft bisher. Thomas Dreger