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„Speed ist bäng“

Wie Pro 7 einmal auf dem Flughafen Werneuchen einen Tanklastwagen in die Luft sprengte. Protokoll eines verzögerten Showdowns  ■ Von Christoph Schultheis

Leider hatte Pro 7 bei der Wegbeschreibung rechts und links verwechselt und den Ortsunkundigen zunächst nicht zum stillgelegten Sowjetmilitärflughafen Werneuchen bei Berlin gelotst, sondern in das Einbahnstraßendorf Hirschfelde, ein desolat-verschlafener Flecken irgendwo in der Barnimer Moränenlandschaft, für jeden manisch-depressiven Dokumentar- und sozialrealistischen Jungfilmer eine Reise wert, wenngleich nicht unbedingt der Ort, an dem ein Bus in einen Tanklastwagen rast, woraufhin dieser explodiert.

Gegen 21 Uhr erreiche ich schließlich den Zielflughafen und meine Befürchtung – aufgrund meiner Verspätung, nur noch zwei müde vor sich hinkokelnde Fahrzeugwracks zu Gesicht zu bekommen, wird bei einer ersten Sichtung des Terrains entkräftet. Silbrig und unversehrt glänzt der zu explodierende Tanklastwagen im Abendlicht. Und auch der blaue Gelenkomnibus steht wenige Meter entfernt wohlbehalten auf dem weitläufigen, befestigten Vorplatz.

Die offenbar ortskundigere örtliche Presse ist bereits vollzählig versammelt: für die B.Z. ein stoischer Ex-Set-Fotograf, für den Tagesspiegel Brandenburg ein kleiner Mann mit Schnauzbart und Schimanski-Jacke, und natürlich Kollege Lokalredaktionsleiter von der Märkischen Oder-Zeitung, ein jovialer Provinz-Markwort, der es sich nicht nehmen ließ, dem erwarteten Spektakel persönlich beizuwohnen.

Doch noch geht es wenig spektakulär zu. Schauspieler und Regisseur sind daheim geblieben, und wer nicht mit Verdrahten, Positionieren und anderen Unauffälligkeiten beschäftigt ist, wartet ab: Wachdienst, Feuerwehr, Presse – auch Szenenbildner Olaf Schiefner, der sich den mäßig originellen Tanklaster-Showdown ausgedacht hat, steht untätig beim Catering. Gedreht wird für eine neue Staffel der Pro 7-Krimireihe „Die Straßen von Berlin“. Die aufwendige Szene, über deren Kosten man sich vor Ort betont vielsagend ausschweigt, wird für ca. 20 Sekunden die Mattscheiben erleuchten dürfen. Über die zum Showdown gehörige Krimihandlung weiß auch Schiefner wenig zu berichten: Am Ende würden „die Guten“ überleben – und „die Bösen“ nicht. Letzteres gelte es, an diesem zunehmend regnerischen Abend in drei Einstellungen zu realisieren: Zuerst werde der hintere Busteil abgesprengt, dann solle der Restbus in den Tanklastwagen rasen. Und zum Schluß würden die am Tanklaster angebrachten Sprengladungen gezündet, woraufhin – wir ahnen es schon – dieser explodiert. Und zwar mit einer gut 50 Meter hohen Feuersäule.

„Und wann?“ Ab 21.12 Uhr steht die Frage, nicht mehr unausgesprochen, sondern nur noch unbeantwortet im Raum. Immerhin müsse der Tanklastwagen nach der zweiten Einstellung noch mit rund 1.800 Litern Benzin betankt werden...

Etwa eine Stunde später überquert Harry Wiesenhaan, der niederländische Pyrotechnikprofi, das Gelände. „Na, Harry, alles klar?“ fragt Schiefner. Harry winkt ab. „Ik hoop dat het lukt“, sagt er vielsagend. „Du machst das schon“, sagt Schiefner. Dann ist es wieder still.

Doch da ist es auch schon 22.15 Uhr. Peng! macht es, und der Bus ist entzwei. Sah's gut aus?“ fragt das Walkie-talkie die Aufnahmeleiterin. „Ja, fein“, sagt sie. Scheinwerfer werden ausgeknipst, der halbierte Bus dieselt zum Ausgangspunkt für den nächsten Dreh, es ist 22.20 Uhr.

Kollege Redaktionsleiter hat genug gesehen: „So'n Bild bringt doch für den Leser mehr als der große Knall und ein Foto, auf dem man nix erkennt.“ Außerdem kommt er so noch pünktlich zur geliebten „Harald Schmidt Show“ nach Hause. Auch dem Tagesspiegel war das Explosiönchen spektakulär genug für die brandenburgische Leserschaft. Der kleine Reporter räumt das Feld. „50 Meter hoch schießt die Flamme in den Himmel“, wird er später schreiben und bei der Berichterstattung die fehlende Authentizität durch stilistisch versierte Sachkenntnis kaschieren: „Die ,special-effect‘- Teams spulen fast routiniert die Actionszenen ab.“ Der B.Z.-Mann hingegen setzt sich seterfahren in sein Auto; Gang raus, Motor an, Heizung an. – Gute Idee eigentlich. Außerdem dauert es nach jüngsten Hochrechnungen noch gut und gern vier Stunden bis zum großen Showdown-Showdown. Es regnet noch immer...

Was sich in den folgenden anderthalb Stunden ereignet, läßt sich nur schwerlich in Worte fassen. Es schlicht nichts zu nennen, wäre zumindest maßlos übertrieben. Silbrig und unversehrt glänzt der zu explodierende Tanklastwagen vor sich hin, und jedesmal, wenn man auf die Uhr schaut, ist es schon wieder ein wenig später. Mal sind es fünf Minuten, mal zehn, mal zwei.

„SPEEEED“, hallt es um 23.46 Uhr unvermittelt über den Platz, und der Bus rast dem Tanklaster entgegen. Doch keine zehn Sekunden später brüllt jemand „CUT!“ und nochmals aus voller Lunge: „CUUUT!!“ Unbeirrt rast der Bus wie geplant in den Tanklastwagen, doch wegen eines technischen Problems ist der Crash nicht gefilmt worden. Der Bus sieht ziemlich mitgenommen aus, die Frontpartie ist verbeult, die Windschutzscheibe entzwei. „Macht nix“, entscheidet der Kameramann, „das geht schon.“ Und irgend jemand ruft: „Alles auf Anfang!“ Um 0.02 Uhr dann heißt es „Kamera läuft“, und der Bus rast noch einmal in den Tanklastwagen, woraufhin dieser wie geplant betankt wird.

Das Drehteam vertreibt sich die Zeit mit ein paar Autocrashs in einem Hangar. Vor einem 10 * 10 Meter großen bluescreenblauen Hintergrund rammt ein bordeauxroter Opel Askona einen weißen Mitsubishi Cordia. Und aus irgendeinem Autoradio plärrt: „Who's gonna drive you home... tonight?“ – 1.35 Uhr: Nun rammt der Askona einen grünmetallicfarbenen VW Derby. – 1.38 Uhr: dito.

In der Zeit zwischen 1.40 Uhr und 3.40 Uhr glänzt der zu explodierende Tanklastwagen weiterhin silbrig und relativ unversehrt im Regen. Um 2.10 Uhr ist auch ein Fotograf von der Bild am Set eingetroffen. (Entweder er war die ganze Zeit in Hirschfelde unterwegs oder einfach besser unterrichtet.)

Ab 3.40 Uhr verteilt Harry Ohropax. Zeit für letzte Absprachen zwischen Kamera und Pyrotechnik. „Okay, Speed ist bäng“, sagt Harry, „Speed ist bäng.“ Noch einmal geht er zum Tanklaster und überprüft die Sprengsätze. WUUUUUMMMMMMMMM! Es ist 3.57 Uhr. „Speed“ war bäng! gewesen, und ein Bus war in einen Tanklastwagen gerast, woraufhin dieser explodierte.

Wie's ausgesehen hat, zeigt Pro 7 im kommenden Herbst.

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