„Richtig gut. Nicht vorzeigbar“

■ Damen-Filz? Frauensenatorin Tine Wischer zog vor den SPD-Genossinnen Halbzeitbilanz

Verpulvern wir das Zündendste gleich vorneweg. Das Thema war „Frauen- und Gleichstellungspolitik in der Großen Koalition“, und als Kernsätze fielen: Wir müssen das Erreichte verteidigen – Alles Entmutigende ist gefährlich – Sozialdemokratische Männer sind nicht grundsätzlich weiterentwickelt (in Frauenfragen, d.Red.) – Junge Frauen sollen sich engagieren! – Bremens Frauensenatorin und Sozialdemokratin Tine Wischer zog vor der ASF (Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen) eine Halbzeitbilanz ihrer senatorischen Tätigkeit und stellte dort klar: „Das Erreichte ist sowohl richtig gut als auch nicht vorzeigbar.“

Mittwochabend im Bremer Presseclub im Schnoor, Vortragssaal erster Stock. 45 Frauen, drei Männer und ein Hund brachten den Raum zum Bersten, der ursprünglich für 20 Personen bestuhlt war. Hierher hatte die ASF zum Lokaltermin mit der Frauensenatorin geladen, jedenfalls wurde entsprechend aufwendig in der ganzen Stadt plakatiert. „Das war als Mitgliederversammlung mit der Senatorin als Referentin gedacht“, klärte jedoch eine ASF-Frau (Lehrerin, arbeitslos) im vertraulichen Gespräch unter Sitznachbarinnen auf. Als SPD-Mitglied sei sie ja automatisch in der ASF, sie sehe hier also kaum fremde Gesichter. „Stehen Sie der Organisation mit besonderen Vorbehalten gegenüber?“

Vorbehaltlos stellt sich dieser Abend wie folgt dar: Die Bremer Senatorin für Frauen (und Gesundheit und Jugend und Soziales und Umweltschutz) begann mit den Rückschlägen in der bremischen Frauenpolitik und benannte zuallererst das Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH). Man sei gezwungen worden, den Paragraphen vier des Bremer Landesgleichstellungsgesetzes (der Frauen mit gleicher Qualifikation „bevorzugt“hatte, d.Red.) außer Kraft zu setzen. „Nicht ganz!“fiel ihr eine Frau ins Wort. Bremens neue Quoten-Version, die Härtefälle bei Männern berücksichtigt (analog zu Nordrhein-Westfalen), muß beim EuGH in Luxemburg noch richterlich beschieden werden. Der dortige Generalanwalt Jacobs (Großbritannien) hat sie dieser Tage gutachterlich niederschmetternd kritisiert.

Des weiteren bedauerte Tine Wischer, daß das Bremer Frauentherapiezentrum keinerlei finanzielle Unterstützung mehr erhalte. 62 Frauenförderpläne gebe es inzwischen im Land Bremen, „das ist nicht gut“(die Senatorin). Auch sei die Zahl der erwerbstätigen sozialversicherungspflichtigen Bremerinnen zurückgegangen; nach wie vor sind 90 Prozent der SozialhilfeempfängerInnen weiblich.

„All das bekümmert mich“, bekannte die Frauensenatorin und rang den Genossinnen eine gewisse Nachsicht dafür ab, daß sie trotzdem auch ein Erfolgsbewußtsein habe. Sie führte die inzwischen gesicherte Hebammenausbildung in Bremerhaven an. Dito das Altenpflegeausbildungsgesetz, das „mit der Aussicht auf gut bezahlte Arbeitsplätze in einem expandierenden Markt vor allem Frauen zugute komme.“Es gebe außerdem zwei neue Mädchentreffs (in Huchting und Vegesack), den neuen Arbeitskreis Frauen und Sucht, ein Interventionsprojekt gegen häusliche Gewalt gegen Frauen. Den Rechtsanspruch auf den Kindergartenplatz habe man „hinbekommen“: Trotz des „Wermutstropfens Beitragserhöhung“sei eine 90prozentige Versorgung erreicht.

So reihte Tine Wischer eine Stunde lang eins ans andere und wurde nur selten – etwa mit einem ironischen „Och!“aus Richtung der Bürgerschaftsabgeordneten Ingrid Reichert – unterbrochen. Dann waren die Genossinnen dran, und für einen Moment drohte die Begegnung schon beendet zu sein. Da brüskierte eine ASF-Frau die Senatorin mit der Frage: „Geht die SPD in den Wahlkampf mit der Forderung nach einem kostenlosen Kindergartenplatz?? – Wir haben ja auch kostenlose Schulen. Wir sind in Europa mit Ganztagsschulen und -kindergärten sowieso hintendran“, redete sich die Frau in Rage. „Damit wir endlich dieses Ehegatten-Splitting abschaffen!“

Frau Wischer fand das „sympathisch, aber unrealistisch“und wurde schon von der nächsten Genossin angegangen: „Ich finde, Du und Bringfriede Kahrs, Ihr müßt stärker gegen das tradierte Frauenbild angehen. Du setzt da zu spät an. In den Schulen muß etwas passieren. Ich fordere entsprechende Pflichtveranstaltungen für Lehrer und LehrerInnen!“– „Die Jungenarbeit in den Freizis ist gleich Null!“rief eine Frau aus der zweiten Reihe. „Mit der häuslichen Pflege werden Frauen ans Haus gebunden“, meldete sich eine andere. „Habt Ihr das Problem erkannt? In der Schwerstpflege müssen viele Familien sagen, daß sie die 1.300 Mark Pflegegeld zum Leben brauchen.“Tine Wischer nickte überrascht: Man werde dem gern nachgehen. Im übrigen sei ihr im Nachklapp zur Steuerschätzung '97 jetzt wieder mitgeteilt worden, daß sie im Bereich Jugend/Soziales nochmal 10 Millionen einzusparen habe.

Dieses Argument mache nur platt, konterten die Genossinnen auf einmal kämpferisch und waren sich einig: „Den Standard halten!“Eine griff das Desaster sogar auf und forderte, bestehende Projekte besser zu verknüpfen, was ja zunächst mal nichts koste.

Leider aber verteilte MdBB Ingrid Reichert dann doch noch Streicheleinheiten: „Nach einer solchen Veranstaltung habe ich wieder ein bißchen Mut.“ sip