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„Zustände wie in New York“

Hamburg gehen die Freiflächen aus. Jetzt soll auch Billwerder Bauernland zu Bauland werden. Umweltverträglicher Ackerbau soll den Verlust ausgleichen  ■ Von Achim Fischer

Es wird eng in Hamburg. Industrie, Handel und Gewerbe, Wohnungsbau und Verkehr beanspruchen immer mehr Platz. „Wenn wir unseren derzeitigen Flächenverbrauch beibehalten, dann haben wir in fünfzig Jahren Verhältnisse wie heute schon in New York“, prognostiziert Joachim Malecki vom Hamburger Amt für Landschaftsplanung. „Dann haben wir kaum mehr Freiflächen.“Jüngstes Beispiel dieser Entwicklung: Der Senat möchte in Billwerder eine Groß-Siedlung auf der grünen Wiese bauen.

Es ist eine kleine Idylle in Hamburgs Südosten: Uralte Bauernhöfe stehen entlang des Billwerder Hauptdeiches. Auf kleinen Feldern blüht Raps, dazwischen wächst Getreide. 645 Hektar (umgerechnet etwa drei mal zwei Kilometer) umfassen die Äcker in Billwerder. Auf 120 Hektar davon (1 mal 1,2 Kilometer) sollen sich in ein paar Jahren sieben- bis achttausend Menschen knubbeln. Die Stadt will ein Wohn- und Gewerbegebiet ausweisen. 3000 Wohnungen sollen dort entstehen, in drei und vierstöckigen Häuserzeilen.

Sieben Landwirte müssen dafür Flächen abgeben. Anspruch auf Entschädigung haben sie nicht. Das gesamte Gelände gehört der Stadt. Im Durchschnitt verlieren die Bauern durch das Neubaugebiet 25 Prozent ihrer Betriebsflächen, im Extremfall sogar 40 Prozent. Für manchen, prognostiziert der landwirtschaftliche Gutachter Gustav Alvermann, ist damit eine Schmerzgrenze erreicht, unterhalb derer sich der Betrieb nicht mehr lohnt.

Zumindest die Stadtentwicklungsbehörde (Steb) mit ihrem Amt für Landschaftsplanung möchte die Bauern unterstützen. „Wir wollen die Landwirtschaft in Hamburg dauerhaft erhalten“, erklärt Hamburgs oberster Landschaftsplaner Malecki. Schließlich sichere die Landwirtschaft „wertvolle Grünreserven und natürliche Ressourcen Hamburgs“: Die Äcker und Weiden sind wertvoller Erholungsraum für gestreßte Großstädter. Sauberes Trinkwasser, klimatischer Ausgleich, Biotop- und Artenschutz, intaktes Landschaftsbild, Umwelterziehung für Kinder – all das kann die Landwirtschaft in einer Metropole sichern.

In Billwerder hat die Steb mehrere Behörden, die Bauern und den Gutachter Alvermann an einen Tisch gebracht, um eine Lösung zu finden, wie die Landwirte auch mit verringerten Flächen überleben können. Zusammen haben sich die Beteiligten auf einen Maßnahmen-Katalog geeinigt: Einige Höfe könnten die Zahl ihrer Pensionspferde aufstocken. Die Stadt könnte Betrieben, die auf ökologischen Anbau umstellen, beim Aufbau einer eigenen Vertriebsgenossenschaft helfen. Die Landwirte könnten von der Stadt Aufträge im Landschaftsbau bekommen, dafür daß sie Gräben freihalten und Knicks pflegen.

Die Steb treibt nicht allein uneigennützige Sorge um die Bauern umher. Die Behörde braucht die Bauern, um das Baugebiet durchsetzen zu können. Denn nach dem Naturschutzgesetz müssen Bauherren einen ökologischen Ausgleich schaffen, wenn sie Freiland in Baugebiet umwandeln.

Bisher haben die Planer den Ausgleich häufig dadurch gesichert, daß sie an anderer Stelle ein Biotop anlegten oder auch mal die Nutzung einer Fläche – sei es durch Wassersportler, Spaziergänger oder Landwirte – untersagten. Dazu aber fehlen in Hamburg mittlerweile die Flächen. Die Stadtentwicklungsbehörde ist deshalb auf die Hilfe der Bauern angewiesen: Wenn sie auf umweltgerechte Produktionsweisen umstellen, hätte die Stadt einen Ausgleich, den das Naturschutzgesetz anerkennt (s. Interview).

Die Stadtentwicklungsbehörde möchte die Bauern deshalb dazu bringen, auf den reduzierten Flächen nach umweltgerechten Kriterien zu wirtschaften. Für die Bauern hieße das: noch weniger Ertrag. Aber, meint die Behörde, nicht unbedingt weniger Gewinn.

Denn ökologisch angebaute Lebensmittel erzielen höhere Preise. Der Finanz-Umsatz könnte unter Umständen trotz weniger Fläche und Ertrag wieder stimmen. Könnte, wenn die Rahmenbedingungen stimmten. Zum Beispiel die Qualität der Böden. „Wir haben hier schwere Marschböden“, sagt Landwirt Jürgen Stubbe. „Da kann man nicht so einfach feines Gemüse anbauen und im eigenen Laden verkaufen.“

Auf den Weiden lohnt sich die Extensivierung schon gar nicht. 700 bis 800 Mark Zuschuß pro Hektar bräuchten die Landwirte, um auf Mineral-Dünger und mehrmalige Mahd im Jahr zu verzichten, beruft sich Stubbe auf ein Gutachten Alvermanns. Die Stadt, sagt dagegen Landschaftsplaner Malecki, wolle sich am Förderprogramm der EU orientieren. Das hieße: 200 bis 300 Mark Zuschuß pro extensiv betriebenem Hektar, fünf Jahre lang. Außerdem will Malecki Investitionshilfen bereitstellen.

„Eine siebenstellige Summe“werde es kosten, den gemeinsam beschlossenen Maßnahmen-Katalog in Billwerder umzusetzen, schätzt Gutachter Alvermann. Also mindestens eine Million Mark. Im Rahmenplan „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“hat der Senat 953.000 Mark für „Extensivierung im Ackerbau“, „extensive Grundlandnutzung“und „ökologische Anbauverfahren“veranschlagt. Allerdings für ganz Hamburg.

Die Finanz- und die Wirtschaftsbehörde sind von den Plänen der Stadtentwickler wenig begeistert. Die Stadtentwicklungsbehörde aber drängt auf eine schnelle Entscheidung. Denn: Ende nächsten Jahres laufen die Pachtverträge der Bauern mit der Stadt aus, und noch steht nicht fest, welche Maßnahmen die Stadt finanzieren wird. Keiner der Landwirte kann deshalb Investitionen oder die Umstellung auf andere Bewirtschaftungsmethoden planen.

„Wir brauchen klare zeitliche Vorgaben“, sagt Landwirt Detlev Stubbe. Auch sein Bruder Jürgen Stubbe drängt auf eine Entscheidung. „Wir leben im Moment von der Substanz“, sagt er. „Aber vielleicht kann man ja nach der Wahl einen vernünftigen Zeitplan aufstellen.“

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