Nur der Geruch bleibt

Künstlerinnen in Berlin (VII): Maren Roloff, die mit dem Malen aufhörte, um Plastiken herzustellen, in denen sie nun Starre und Flüchtigkeit, Dichte und Durchlässigkeit kombiniert  ■ Von Cornelia Gerner

Der Weg führt zwischen den S-Bahngleisen auf Kopfsteinpflaster entlang, an kleinen Birkenwäldchen vorbei – hin zu einem alten Wasserturm und der großen, ehemaligen Reichsbahnhalle in Schöneberg. Das Schild „Odious“ zeigt den Standort an. Zwar gehört Maren Roloff nicht zu der Künstlergruppe, aber ihr Freund, Klaus Duschat. Die mehrere tausend Quadratmeter große Halle ist voll mit Metall und anderen liegengebliebenem Material. Anhand dessen vermag man die Arbeitsplätze den verschiedenen Künstlern zuzuordnen. Hinten rechts hängen und stehen die Schlauchobjekte aus Gummi von Maren Roloff.

Von dort geht es in einen kleinen Raum, wo sie wartet. „Da kann ich arbeiten, wenn ich für mich sein will.“ Es gibt einen Heizlüfter hier, der die eisige Kälte des heutigen Tages ein wenig mildert. Die Heizung läuft nicht mehr, es ist schon zu warm, erklärt die Künstlerin und lächelt. Mit mehreren Hosen und Pullovern ist sie auf diese Extrembedingungen eingerichtet. Am Boden liegen ungeordnet unterschiedliche, alte Schläuche schlaff und unansehnlich auf einem Haufen. Umso erstaunlicher erscheinen daneben die in Form gedrehten und geschnittenen Objekte. Sie glänzen prall und dunkel und zeigen ihre Gebrauchsspuren, die Nähte und ihre industriell angelegten Strukturen wie Ornamente. Von weitem könnte man meinen, es handele sich um Metallskulpturen: „Ich bin schon mal zu einem Schmiedesymposium eingeladen gewesen“, erzählt sie. Außerdem reizt sie Metall durchaus für eine echte Auseinandersetzung, aber es ist eben was ganz anderes. „Mit Metall kann man eher bauen. Das hier ist bewegbares Material.“ Beim Gummi gefällt ihr die Verwandlung von etwas „Häßlichem, Ekligem“ in etwas „optisch Sinnliches“. Nur der Geruch bleibt.

Maren Roloff, Jahrgang 1964, wurde in Bad Langensalza geboren und studierte von 1987 bis 1992 an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig Malerei. Die Demonstrationen 1989 und die Wende hat sie neugierig, aber mehr als Zaungast erlebt. In einem Katalogtext von 1996 schreibt sie reflektierend: „Die plötzliche Sicht aus einer eigenen Perspektive heraus erweckte ein neues Bewußtsein, Lust auf eigene Gedanken.“ Dann aber, nach dem Studium, kam sie in das Dilemma, mit Malerei nichts mehr anfangen zu können. Eine schwierige Phase der Orientierungslosigkeit folgte.

Inzwischen hat Maren Roloff ihr Werk immer wieder in illustrem Rahmen zeigen können, wie 1995 in der Neuen Nationalgalerie Berlin zusammen mit Raffael Rheinsberg in der Reihe „Dialoge“ oder im gleichen Jahr anläßlich der Ausstellung „Entgrenzungen“ im Ludwig Forum für internationale Kunst in Aachen. Die Künstlerin hat mittlerweile eine feste Galerie gefunden, die sie vertritt. Sie hat Glück gehabt, auch was Verkäufe anbelangt.

Gummi ist ein vielseitiges Material. Man kann Volumen damit schaffen, es in dünne Streifen schneiden, zusammennähen, drehen, ausstopfen. Man kann damit Räume durchmessen, Bezüge zwischen oben und unten herstellen, Diagonalen sichtbar machen. 1993 waren im Gothaer Kunstforum in Köln aus der Wand schlängelnde „Wulpen“ zu sehen – unterschiedlich dicke wurmartige Gebilde, die sich dem Besucher entgegenstreckten. Ein Jahr später zeigte die Dogenhausgalerie in Leipzig feine, mehrere Meter lange Netzgespinste der Künstlerin, die, halb an Hängematten, halb an Spinnennetze erinnernd, den Raum durchkreuzten. Anläßlich der Ausstellung im Ludwig Forum in Aachen 1995 installierte Maren Roloff eine 15 Meter lange, spiralenartig gewundene, mächtige Gummi- „Säule“ im Treppenhaus. Fünf Leute mußten mithelfen, um die miteinander vernähten ehemaligen Reifen in die Höhe zu ziehen und an der Decke zu befestigen. Als die Neue Nationalgalerie im gleichen Jahr ihre Werke zeigte, hing am vorragenden Dach des Mies-van-der-Rohe-Baus zeichenhaft eine von weitem sichtbare 6,80 Meter lange „Dreiersäule“.

Um das Materiel in der gewünschten Form zu halten, baut Roloff Gerüste. Manchmal probiert sie das Verhalten des Materials auch anhand von kleinen Modellen aus oder fertigt Zeichnungen, bevor sie das eigentliche Format angeht. Maren Roloff arbeitet präzise. Nähte entstehen durch funktionale, unabsichtlich formschöne Verknüpfungen oder Gummischnüre, die durch vorgestanzte Löcher geführt werden.

„Gummi ist etwas zwischen fest und flüssig“, sagt Maren Roloff. Genau damit spielt sie und macht ihre Objekte starr und flüchtig, dicht und durchlässig.