Wand und Boden: Das Blumenmeer auf Großmutters Grab
■ Kunst in Berlin jetzt: Angela Lubiic, Lois Renner, Caroline Hake, Zuzanna Janin
Nicht Nadel und Faden, sondern Nagel und Faden sind Angela Lubiic' Handwerkszeug. Damit spannt sie in der Galerie im Parkhaus eine zarte, wollweiße Sitzbank in einem weißen Kabuff: notwendigerweise eine filigrane Zeichnung im Raum. Obwohl ihre Ausstellung vom Sitzen handelt, bleibt man also stehen. Wie es sich im Kunstraum gehört. Auch die Bürostühle im Foyer laden nicht zum Sitzen ein, sie tun ganz alleine, was wir sonst auf ihnen und mit ihnen tun: Sie drehen sich und machen dabei Geräusche. Für Angela Lubiic, die seit Jahren den Raum mit ihren Fadengespinsten verstellt, ist diese Installation von ungewohnter Massivität. Aber dann hat sie den turmhoch gestapelten Stuhl auch fotografiert. Es ist ein Bild, wie sie es im Foyer des Parkhauses einmal sah, der Ausgangspunkt ihrer Installation. Von nebenan hört man das Klappern einer Computertastatur, es begleitet Lubiic' überzeugendstes Bild, schwarz auf weiß auf die Wand genagelt und gespannt: Der Stuhl als Gestühl, als das Meer von Stühlen in großen Sälen. Vor dieses Bild darf man sich setzen.
Bis 3. 5., Mi.–Sa. 15–19 Uhr, Puschkinallee 5
Die letzten galeriefreien Lükken in der Auguststraße füllen sich. Die Galerie Puttkamer hat mit Lois Renner einen guten Start. Der 36jährige österreichische Künstler zeigt in drei großen und drei mittleren, hochglänzenden Dia-Set-Farbfotoformaten den Blick ins Atelier. Genauer gesagt ist es der Blick in Renners erstes Atelier im Dachgeschoß des väterlichen Malerbetriebes. Ganz präzise geht es um eine Ecke dieses Ateliers, ein großes Giebelfenster, eine Säule vor dem Fenster, einen Heizkörper unter dem Fenster und zwei Leuchtstoffröhren zwischen Fenster und Säule.
Dieses Architekturfragment strukturiert eine ziemlich überraschende, auch kokette, weil außerordentlich malerische, ja nachgerade pittoreske Inszenierung der Künstlerwerkstatt. Denn Renners seriell angelegte, jedoch als Unikat ausgeführte Andachtsbilder des hehren Ortes der künstlerischen Produktion zeigen einen mehr oder minder einstürzenden, aufgesprengten Raum. Es ist ein genialisch unaufgeräumter, vollgestellter Raum. Ein offenbar sehr fleißiger Mensch wurstelt dort zwischen Keilrahmen, Staffelei, Leitern, Stahlgerüsten, Werkbänken, halbfertigen Skulpturen, Ölschinken und dem offenen Himmel an der Verwirklichung seiner künstlerischen Vision.
Es ist eine Vision im Maßstab eins zu zehn, eine Modell-Vision, also eine romantische und mithin ironische Angelegenheit. Anders als bei seinem Lehrer Gerhard Richter verführt hier nicht eine bravouröse Malerei nach banalen Fotografien, sondern eine verführerische Fotografie nach einem trivialen Malermotiv. Doch so genau sieht man das nicht. Renner stellt eine 18 x 24 cm große Studiokamera vor das Modell seines Ateliers. Damit erreicht er eine teils enorme Tiefenschärfe, die er aber durch Unschärfen im Vordergrund wieder ins Ungefähre, farbenprächtig Malerische treibt.
Bis 21. 6., Di.–Fr. 14–19, Sa. 11–17 Uhr, Auguststraße 22
Lücken, die man in der Gegend um die Auguststraße eigentlich nie wahrnahm, füllt Caroline Hake. Ihre Kunst im öffentlichen Raum, mit dem Projektraum Berlin organisiert, nennt sich „Decollage“, sieht aber gar nicht abgerissen aus. Tatsächlich ist ihre Arbeit – ähnlich wie bei Lois Renner – zunächst vor allem ein perfektes Tafelbild.
In der Weinmeisterstraße 9a, der Mulackstr. 12, der Linienstraße 198 oder der Münzstraße Ecke Max-Beer-Straße hat Hake Plakatwände aufgestellt, sechs weitere werden noch folgen. Auf dieses Medium projizierte sie computerbearbeitete Farbfotos von der Fläche, die die Werbewand verbirgt, in diese hinein. Das Bild von einem mit wildem Wein bewachsenen Kieselplattenbaumodul steht dann also vor dem realen Kieselplattenbaumodul.
Der Effekt ist erstaunlich. Die mediale Verdoppelung des Realen operiert nahe an ihrem Verschwinden, so wohl integriert scheint das Bild der Wand vor der Wand. Eigentlich irritiert nur die merkwürdige Verschönerung der so markierten Stelle. Surreal grün rankt der wilde Wein inzwischen über dem Bild, das ihn einen Monat zuvor noch als dürre Lianenschlinge präsentiert.
Bis 20. 6., Do.–Sa. 14–19 Uhr, Auguststraße 35
Auch Zuzanna Janins Kunst arbeitet mit ihrer Veränderung im Lauf des Arbeitsprozesses. Das rührt von der Zuckerwatte her, die die 36jährige polnische Künstlerin benutzt. Mit ihr umspann sie den in Kupferdraht nachgebildeten Körper der Venus von Willendorf. Das ergab zunächst eine Art Seidenkokon um das „Sweet Girl“, der aber schon im Laufe des ersten Abends auf den Boden der Galerie A. von Scholz tropfte und den Körper in eine Art Totenschädel verwandelte. Inzwischen sieht der Zucker wie eine Haut aus, die in Fetzen vom Skelett hängt. Vergänglichkeit ist definitiv ein Thema Janins. Was sie kriegen kann, schweißt sie in Plastikfolie ein. Make-up zum Beispiel, abgeschnittene Haare und Fingernägel, Haut, Blut und auch das Bild, das von der Vergänglichkeit spricht, wie das Foto des Blumenmeeres auf dem Grab der Großmutter. Trügerisch ist aber bei Zuzanna Janin auch das Stabile, der architektonische Raum. Eine gelbe Ecke, die einen samtenen Rahmen um die Fotoinstallation „Follow me, touch me“ zu bilden scheint, ist aus rauhem Schleifpapier. Sehen ist Glauben ist Scheinen. Beobachten, überprüfen, aufbewahren, eintüten hilft weiter.
Bis 12. 7., Mi.–Sa. 14–19 Uhr, Bergstraße 22
Brigitte Werneburg
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