Schriften zu Zeitschriften
: Disharmonielehre

■ Neues Intelligenzblatt für Hörer und andere Adorniten: „Musik & Ästhetik“

Eine Zeitschrift mit dem programmatischen Titel Musik & Ästhetik neu auf den Markt zu bringen, scheint ein gewagtes Unternehmen. Schließlich können vergleichbar ambitionierte Kulturzeitschriften wie Merkur, Neue Rundschau, Akzente oder Freibeuter, an denen sich das neue Projekt ausdrücklich orientiert, heute nur noch durch Anbindung an einen großen Verlag überleben. Mehrere Verleger sollen dankend abgewinkt haben. Schließlich konnte man Michael Klett für sich gewinnen, der mit dem Merkur und mit Psyche schon zwei ähnlich interdisziplinär angelegte Periodika in seinem Haus betreut.

Das Risiko liegt nicht allein in dem – nennen wir es ruhig so – elitären Anspruch, der das Heft nicht gerade für eine U-Bahn- Lektüre geeignet macht. Hinzu kommt, daß der Gegenstand selbst – Musik – mehr fachspezifische Vorkenntnisse voraussetzt, als das beim Palaver über Literatur, Film oder Malerei der Fall ist. Es ist ja kein Zufall, daß es kein musikalisches Pendant zum „Literarischen Quartett“ gibt. Genau in dieser fehlenden öffentlichen Diskussion über Musik sehen die Herausgeber aber die Notwendigkeit ihres Projekts begründet. Die Herausgeber – das sind der Komponist Claus-Steffen Mahnkopf, der Philosoph Richard Klein und die beiden Musiktheoretiker Ludwig Holtmeier und Eckehard Kiem, die alle so zwischen Anfang Dreißig und Mitte Vierzig sind, sich von ihrem Studium an der Freiburger Musikhochschule her kennen und dort auch unterrichten. Das hört sich provinziell und mafios verfilzt an, ist es aber nicht: denn die Zeitschrift kann auf einen hochkarätigen Mitarbeiterstab von San Diego bis Sidney zurückgreifen, versteht sich ausdrücklich als international und hat deshalb jedem Essay ein englisches Summary beigefügt.

Was soll nun aber geboten werden, das man in den musikwissenschaftlichen Fachzeitschriften einerseits und dem Musikfeuilleton der Tagespresse andererseits nicht findet? „Musik & Ästhetik ist ein international ausgerichtetes Forum für alle, die diesseits und jenseits der Fachbereiche an einer innovativen Verbindung von systematischen und historischen, philosophischen und künstlerischen Denkansätzen interessiert sind“, heißt es im Editorial. Den „Kommunikationsmangel in der Sache“ sieht Richard Klein, der Spiritus rector des Projekts, darin begründet, daß die akademische Musikwissenschaft mit ästhetischer Reflexion nicht viel am Hut hat, während umgekehrt die philosophische Ästhetik zuwenig von Musik versteht. Oder auch darin, daß sich Musik – mit einigem Recht – gegen den wissenschaftlichen Duktus wehrt, weil dabei ihr sinnlich-erotischer Charakter verlorenzugehen droht: andererseits aber das sprachlose Ergriffensein auch nicht weiterführt: Musik weise immer auch über sich hinaus.

Konkret bedeutet dieser interdisziplinäre Ansatz: In der vorliegenden „Nullnummer“ gibt es einen Text von Ulrich Tadday über Musik und Systemtheorie; oder ein Literatur- und ein Musikwissenschaftler (Wolfram Ette/Eckehard Kiem) bemühen sich gemeinsam um Ravels Mallarmé-Vertonungen. Ludwig Moltmeier verteidigt sein Fach, die Musiktheorie, gegen die Sparkommissare aus der Politik und die Verächter aus den eigenen Reihen, die „Harmonielehre“ und Kontrapunkt-Unterricht für veraltete Zöpfe halten. Christoph Ziermann beleuchtet das Verhältnis zwischen Musik und Kapitalismus – allerdings in einer Diktion, die an Seminarpapiere der siebziger Jahre erinnert. Und weil man auch offen ist für die „intelligente Postmoderne“, darf sich Roger Behrens Gedanken über die „Emanzipation vom Tauschwert“ in musikalischen Subkulturen (sprich: in bestimmten Sektoren der Popmusik) machen.

Das klingt nun ziemlich nach Adorno, und tatsächlich schwebt der gute Teddy mit seinem Segen über mehr oder weniger allen Beiträgen der Zeitschrift – bis in sprachliche Manierismen hinein. Das geht durchaus mit rechten Dingen zu – ist Adorno doch der einzige unter den neueren Philosophen, der selbst komponiert hat; bei den Poststrukturalisten ist in dieser Hinsicht ja leider wenig zu holen. Dennoch kommt durch Adorno eine unnötige Polemik gegen die Postmoderne ins Spiel, die sehr entstellend auf einen „lieblosen und beliebigen“ Stilpluralismus „ohne jeden künstlerischen Biß“ reduziert wird. Und das, obwohl Richard Klein im besten und lesbarsten Aufsatz des Hefts überzeugend die Aktualität wie die Vergänglichkeit der Adornoschen Musikphilosophie herausgearbeitet hat.

Ein zweiter Schwerpunkt soll auf der zeitgenössischen Musik liegen. In jedem Heft wird ein Werk vorgestellt, das innerhalb der letzten fünf Jahre entstanden ist – diesmal das Streichtrio (1995) des 54jährigen englischen Komponisten Brian Ferneyhough. Für die kommenden Nummern sind Beiträge zu György Kurtág und Elliot Carter angekündigt. Rechtfertigt das alles nun die Gründung einer neuen Zeitschrift, die sich an ein zwar gebildetes, aber nicht spezialisiertes Publikum richtet? Einige der vorliegenden Aufsätze hätten sicher auch in einer musikwissenschaftlichen Fachzeitschrift ihren Platz gefunden; umgekehrt wurde ein Buch wie das von Wayne Koestenbaum über Oper und Homosexualität auch schon in der Tagespresse rezensiert. Die Chance von Musik & Ästhetik kann also nur in der intelligenten Mischung liegen, im Herstellen von unerwarteten Querbeziehungen (etwa zwischen Avantgarde und Popkultur) – also eben doch im Sich-Einlassen auf den postmodernen Pluralismus. Und bitte, laßt die Frauen künftig nicht nur am Katzentisch der Rezensenten Platz nehmen! Rolf Spinnler

„Musik & Ästhetik“, Heft 1/2. Verlag Klett-Cotta Stuttgart, 180 S., Einführungspreis 15 DM (künftig 38 DM). Heft 3 im Juli, Heft 4 im Oktober