Die Avantgarde muß draußen bleiben

Beuys und die Folgen: Die Gebrüder Franz Joseph und Hans van der Grinten haben ihr Leben der Kunst gewidmet. Jetzt wird ihre Sammlung als moderne Wunderkammer im Museum Schloß Moyland bei Kleve öffentlich gemacht  ■ Von Esther Ruelfs

Münzen, Automaten, Musikinstrumente, Naturalien, Statuen – Lord Hamilton hat alles mögliche gesammelt. Bis nahe an den Ruin haben ihn seine Ankäufe getrieben, Geldnot zwang ihn zum Verkauf an das Britische Museum, mit dem Erlös nahm er seine Leidenschaft wieder auf. Susan Sonntag hat in ihrem Roman über den englischen Connaisseur das „frei flottierende Begehren“ als Hauptantrieb des „wahren Sammlers“ bestimmt. Der Sammler ist allein seinen persönlichen Vorlieben verpflichtet, während der Direktor eines modernen Museums mit seinen Ankäufen einem öffentlichen Interesse und den kunsthistorischen Prämissen folgt. Zwar hat auch er Vorlieben und Abneigungen, aber er kann ihnen nicht in dem Maße nachgehen, wie dies ein privater Sammler tut. So bleibt die Auswahl der Künstler meist im Rahmen des Erwartbaren.

Einen ganz anderen Eindruck macht das an diesem Wochenende eröffnete Museum Schloß Moyland am Niederrhein bei Kleve, in dem die private Sammlung der Brüder Hans und Franz Joseph van der Grinten untergebracht ist. Das ursprünglich mittelalterliche Wasserschloß, das im neogotischen Zustand des 19. Jahrhunderts wiederhergestellt wurde, zeigt eine Zusammenstellung, die ganz den Idiosynkrasien der Brüder van der Grinten folgt.

Die internationale Avantgarde muß draußen bleiben – mit Ausnahme von Beuys, der zum Freundeskreis der Sammler vom Niederrhein gehörte. Auf Heroen der Moderne trifft man kaum, die Werke von Mondrian und Richter sind in die obersten Raumecken verbannt worden. Statt dessen überwältigt im Erdgeschoß eine Vielzahl von Zeichnungen und Gemälden von Künstlern, unter denen Hermann Teuber, Rudolf Schoofs, Franz Eggenschwieler, André Thomkins schon die bekannteren sind.

Die Sammlung der Brüder van der Grinten gruppiert sich im wesentlichen um Joseph Beuys. Die zu Direktoren des Museums avancierten Sammler beschreiben sie als ein Geflecht, das von einer Handvoll Künstler aus ein Netz spannt, das vor allem von persönlichen Beziehungen geprägt wird. War es in den 50ern noch ihr Ziel, die Entwicklungslinien moderner Kunst in der Druckgraphik zu verfolgen, so regten ihre Freunde Beuys und Hermann Teuber das gattungsübergreifende Sammeln von verschiedenen Künstlern an.

In der etwa 60.000 Exponate umfassenden Kollektion, für die selbst die 58 Räume im Schloß nicht ausreichen, zeigt sich unermüdliche Sammelleidenschaft, ja Sammelwut. Angekauft wurde ab den 50er Jahren nicht bloß Malerei, sondern auch allerlei Obskures und Absonderliches. So gibt es etwa eine Plakettensammlung, Hinterglasmalerei, etwas holländische Manufakturkeramik, dazu Plakat- und Buchkunst des Jugendstils und ein Landschaftsgarten mit Skulpturenpark. 1740 trafen sich auf Schloß Moyland Voltaire und Friedrich der Große, heute stellt Hans van der Grinten seine Sammlung in die Tradition des Museums der Aufklärung, dessen Ordnung streng nach Gattungen unterscheidet und selbstverständlich über ein Medaillen- und ein Druckgraphisches Kabinett sowie eine Skulpturensammlung verfügt. Man könnte allerdings auch an eine Kunst- und Wunderkammer denken, die mit einer Kombination der Exponate ein Netz von Verflechtungen zu entspannen scheint, deren Sinn sich vielleicht nur dem Sammler ganz erschließt. Hans van der Grinten kommentiert hierzu: „Der Flaneur ist uns genauso willkommen wie der Forscher.“ Schließlich sei die Kunst eine Sache des Genusses. Was im Museum Schloß Moyland überdeutlich wird, ist die Einschreibung der Personen der Sammler, die überall präsent sind.

Tatsächlich ist die geradezu italienische Hängung des Museums außergewöhnlich. Überwältigend, im wahrsten Sinne des Wortes, ist die Masse und Anordnung der Arbeiten. So werden allein in der ersten Etage, die sich Beuys widmet, rund 1.200 Arbeiten gezeigt. Man stelle sich die Wände vor: eng bedeckt von der Fußleiste bis zur Decke mit Bildern. Dicht an dicht drängen sich hier Zeichnungen, Wasserfarbenblätter, Ölgemälde, Plastische Bilder und Druckgraphik nach Gattungen, zuweilen auch nach Themen sortiert.

Die zum größten Teil klein- und mittelformatigen Arbeiten, vor allem des jungen Beuys, werden eher spärlich kommentiert gezeigt. In drei Räumen sind seine Plastischen Bilder – teils reliefartige, teils vollplastische Arbeiten, Materialbilder und Collagen – ausgestellt, an denen er hauptsächlich zwischen 1957 und 1970 gearbeitet hat. Der größte Teil dieses Werkkomplexes befindet sich im Schloß. Das einende Strukturprinzip scheint primär in der Präsentationsform zu bestehen: In bis zu 40 Zentimeter tiefen, verglasten Holzkästen werden die Gegenstände, Zeichnungen und Reliefs ihrer Dreidimensionalität entkleidet und in eine Art Bildbühne gerückt. Viele der Werke sind erst mit der Entstehung des Museums in die Kiefernholzkästen gelangt, in die Beuys die Arbeiten gerahmt sehen wollte.

Schloß Moyland als weltweit größte Sammlung an Beuys-Werken vereint vor allem frühe Beuys- Arbeiten. Installationen und Aktionen dagegen findet man kaum dokumentiert. Eine von Beuys' bekanntesten Aktionen, „7000 Eichen“, die er gemeinsam mit der von ihm gegründeten FIU (Freie Internationale Universität für Kreativität und interdisziplinäre Forschung) 1982 auf der Kasseler documenta begann, wird auf Schloß Moyland weitergeführt. „Das symbolische Zupflanzen der Erde soll in Kassel beginnen“, so Beuys – und wird in Moyland fortgesetzt. Diese Stadtverwaldung gegen Stadtverwaltung, eine im Sinne des erweiterten Kunstbegriffs verstandene Bepflanzungsaktion, wurde von FIU-Mitglied UWe (sic!) Claus in Moyland fortgesetzt. Jeder neugepflanzten Eiche auf der zum Schloß führenden Allee ist ein Basaltstein zur Seite gestellt. Als Zugabe dieser an Kuriositäten nicht armen Sammlung meldet sich nun die Witwe Eva Beuys mit der Behauptung zu Wort, das neue Werk gehöre zum Werk ihres Mannes. Beuys lebt!

Sammlung van der Grinten, Schloß Moyland bei Kleve. Telefon: (02824) 95 10 66