Iran bedroht Mykonos-Zeugen

■ Vater von „Quelle B“ starb nach Verhören, Kinder von „Quelle C“ sind in Gewahrsam. Zeugen widerrufen

Berlin (taz) – Die iranische Aufarbeitung des Berliner Mykonos-Prozesses hat ein neues Opfer: Der Vater des als „QuelleB“ bezeichneten Fasel Allahwirdi Nikdscheh starb letzten Sonntag an Herzinfarkt – wahrscheinlich als Folge von Verhören durch iranische Behörden. Nach Angaben von „Quelle B“ war sein Vater festgenommen worden, um den Zeugen unter Druck zu setzen. Mit Erfolg: Nach dem Berliner Urteilsspruch widerrief Nikdscheh (26) seine Anschuldigungen gegen die iranische Staatsführung – allerdings mit Hinweis auf die Verhaftung des Vaters. Der wurde danach aus dem Gefängnis entlassen – und war kurz darauf tot.

Unterdessen mehren sich die Anzeichen, daß auch der als „Quelle C“ geführte Kronzeuge im Mykonos-Verfahren, Abolqassem Mesbahi (39), seinen vor einer Woche bekanntgewordenen Widerruf unter massivem Druck unterschrieben hat. Nach Informationen der taz war ihm von Angehörigen im Iran bedeutet worden, seine vier Kinder seien „in Gewahrsam“. Gestern tauchte ein neues Schreiben auf – angeblich von Mesbahi. Darin widerruft der ehemalige iranische Geheimdienstler seinen Widerruf: „Alles, was ich als Zeuge vor dem Berliner Kammergericht und bei der Bundesanwaltschaft ausgesagt habe, entspricht der Wahrheit.“

In dem vor einer Woche bekanntgewordenen Schreiben hatte es geheißen: „Heute weiß ich, daß das Komitee für Sonderangelegenheiten nicht existiert.“ Genau dieses Gremium hatte Mesbahi vor Gericht als Auftraggeber für den Mord an vier oppositionellen iranischen Kurden 1992 in dem Berliner Restaurant Mykonos bezeichnet. In dem neuen Brief heißt es: „Nach meinen Informationen existiert das Komitee (...) heute nicht mehr.“ In dem Schreiben macht der Autor indirekt die im Iran verfolgten Volksmudschaheddin für den Mord an vier oppositionellen iranischen Kurden 1992 in dem Berliner Restaurant Mykonos verantwortlich und verbindet sie mit Teilen der iranischen Staatsführung. Derartige „machiavellistische und sich des Terrorismus bedienende Denkweise“ würde „von einem Flügel vertreten, der im Ausland unter der Führung von Massud Radschavi und im Iran unter der Führung von Mohammad Mohammadi Reyschahri und Ali Fallahian agiert“. Radschavi ist Chef der Volksmudschaheddin, der iranische Ex-Informationsminister Reyschari kandidierte dagegen gerade für das Präsidentenamt der Islamischen Republik. Geheimdienstminister Fallahian gilt als Drahtzieher des Mykonos-Attentats.

Bisher tauchte das neue Schreiben nur auf deutsch auf – eine Sprache, die „QuelleC“ nicht versteht. Ob es dennoch authentisch ist, ist nicht zu überprüfen: Kronzeuge Mesbahi untersteht dem Zeugenschutzprogramm des Bundeskriminalamtes. Nach Informationen der taz hat Mesbahi jedoch nach Verkündung des Mykonos-Urteils mit der iranischen Botschaft in Bonn telefonisch über den Schutz seiner Familie verhandelt. Aus Kreisen der Botschaft heißt es, man wäre nicht überrascht, wenn ein reuiger Mesbahi um seine Rückreise in den Iran bitten würde. Dort besteht für ihn Lebensgefahr.

Einen Eindruck, unter welchen Umständen beide Briefe zustande gekommen sein könnten, gibt der Satz: „Selbst wenn auf mich Druck ausgeübt werden sollte, meine Ansichten bleiben unverändert.“ Im vergangenen Herbst hatte Mesbahi an Ex-Präsident Abol Hassan Bani Sadr geschrieben: „Seien Sie vorsichtig, und verlangen Sie von der deutschen Regierung, daß sie sich so verhält, daß man nicht mitkriegt, daß Deutschland so genaue Informationen bekommen hat. Wenn Iran das alles mitbekommt, bedeutet das die Vernichtung meiner Familie.“ Wenig später enttarnte der iranische Geheimdienst „QuelleC“. Thomas Dreger