Freudenfeste in der Islamischen Republik

Die Präsidentschaftswahlen im Iran enden mit einer Überraschung: Der moderate Mohammad Chatemi erringt einen Erdrutschsieg. Vor allem viele junge WählerInnen machten es möglich  ■ Von Thomas Dreger

Berlin (taz) – „Es erinnert an den Tag, als der Schah Teheran verlassen hat. Die Leute sind unglaublich herzlich zueinander“, berichtet ein Bewohner der iranischen Hauptstadt nach dem Sieg Mohammad Chatemis bei den iranischen Präsidentschaftswahlen am vergangenen Freitag. Ein in Deutschland lebender Iraner erzählt, Verwandte hätten auf die Frage, wie denn die Stimmung sei, den Telefonhörer aus dem Fenster gehalten – der Lärm habe habe an ein Straßenfest erinnert. Im Iran fanden am Samstag private Partys statt – und keine Revolutionswächter schritten ein.

Über 20 Millionen von 32 Millionen stimmberechtigten IranerInnen votierten laut amtlichem Endergebnis für den als moderat geltenden Chatemi (54). Sein Widersacher Ali Akbar Nateq Nuri (54) bekam nur etwas über sieben Millionen Stimmen. Das Ergebnis widerspricht allen Voraussagen und Meinungsumfragen. Sämtliche iranischen Medien – und mit ihnen die meisten ausländischen Beobachter – hatten Nateq Nuri über 50 Prozent der Stimmen zugetraut, Chatemi maximal 40. Statt dessen erzielte der frühere Minister für Kultur und religiöse Führung eine Zweidrittelmehrheit. Die beiden anderen, schon vorher als chancenlos gehandelten Kandidaten, Mohammad Reyschahri und Resa Savarei, blieben unter vier Prozent Stimmenanteil.

Selbst die für ihre Spröde berüchtigten iranischen TV-Nachrichten vermittelten ein wenig von der Begeisterung über das Ergebnis: Als Chatemis Sieg bekanntgegeben wurde, brach das Publikum in Jubel aus, bei der Nennung Nateq Nuris waren Pfiffe zu hören.

„Die Leute haben gegen die Leiden protestiert, die ihnen die orthodoxen Ajatollahs auferlegt haben“, beschreibt ein Teheraner Bürger die Motive der WählerInnen. „Sie haben klargemacht, daß sie mehr Freiheiten wollen und weniger Eingriffe der Religion in ihr Leben – sowohl in das private, als auch das öffentliche.“

Angesichts der Deutlichkeit seiner Niederlage gratulierte Nateq Nuri seinem Bezwinger Chatemi noch während der Stimmauszählung. Auch der religiöse Führer Ajatollah Ali Chamenei – eigentlich ein Unterstützer Nateq Nuris – wünschte Chatemi „Gottes Segen und alles Gute in seinem neuen und höchst verantwortlichen Amt“. Selbst im von Konservativen dominierten Parlament – Nateq Nuri ist dessen Präsident – taten sich mögliche Veränderungen auf. Man sei bereit, Chatemi zu „helfen“, hieß es in einer gestern verlesenen Erklärung. Unterzeichnet hatten sie rund 200 der 270 Abgeordneten.

Der Wahlsieger ließ bis gestern nur verlauten, er sei „glücklich, aber entspannt“. Zu verdanken hat Chatemi seinen Triumph der großen Wahlbeteiligung. 89 Prozent der Stimmberechtigten haben laut offiziellen Angaben von ihrem Recht Gebrauch gemacht. Vor allem viele bisherige NichtwählerInnen sollen Chatemi ihre Stimme gegeben haben. Beobachter berichten übereinstimmend von überfüllten Wahllokalen. Vor allem junge Menschen hätten abgestimmt. Nur der aus dem Irak agierende oppositionelle Nationale Widerstandsrat wußte es besser: Viele Wahllokale seien fast menschenleer geblieben, sagte die Vertreterin der Organisation in Deutschland, Zohreh Akhyani. Der Widerstandsrat hatte zum Wahlboykott aufgerufen.

Chatemi muß sich nun eine Regierung zusammenstellen. Eine schwierige Aufgabe, denn im Wahlkampf wurde er von zwei unterschiedlichen Fraktionen unterstützt. Er selbst gehört den sogenannten Linksislamisten an. Einer Gruppierung die – ganz im Sinne der Islamischen Revolution – für mehr soziale Gerechtigkeit eintritt. Für seine Wahl war Chatemi aber auf die sogenannten Technokraten angewiesen. Diese fordern eine Öffnung der Wirtschaft, notfalls auch zu Lasten sozial Schwächerer.

International hielten sich die Reaktionen auf den Wahlausgang zurück. „Wir beobachten die Lage aufmerksam und erheben keine Einwände gegen das iranische Volk oder die iranische Regierung“, sagte ein auf Anonymität bedachter Vertreter der US-Regierung der New York Times. Auch aus den europäischen Hauptstädten gab es bis gestern keine offiziellen Stellungnahmen.

Einen Wink an die Bundesregierung erteilte Irans scheidender Präsident Rafsandschani: Deutschlands im Iran wegen der Mykonos-Affäre unerwünschter Botschafter könne möglicherweise bald wieder zurückkehren. „Wenn sich die Deutschen ein bißchen gedulden, wird das Verbot der Rückkehr letzten Endes aufgehoben“, sagte Rafsandschani gestern auf einer Pressekonferenz.

Aus Bonn gab es keine Reaktion – auch nicht auf den Wahlausgang. Nur der Leiter des Deutschen Orientinstituts und Kinkel- Berater, Udo Steinbach, jubelte über die „Revolution an den Wahlurnen“. Er hoffe, daß nun eine Reihe im Iran inhaftierter Intellektueller freigelassen würden, darunter vielleicht auch der Schriftsteller Faradsch Sarkuhi.