Zum Faustball ist man geboren

Wer das überaus deutsche Spiel Faustball spielt, der „hat viel zu erklären“: Im friesischen Ohrstedt ist schon per Satzung eine Fußballabteilung verboten  ■ Von Claudia Thomsen

Ohrstedt (taz) – Einer der zahllosen nordfriesischen Knicks entlang der Bundesstraße 201 versperrt die Sicht auf das Spielfeld. Vielleicht ist das besser so. Denn was hinter der Hecke passiert, würde wohl nur die Vorurteile der Wochenendurlauber bestätigen, die 20 Kilometer östlich von Husum damit beschäftigt sind, strahlend weiße Wohnwagen und Motorboote an die Nordsee zu ziehen. Es gibt nicht viele Ballspiele, die eine ebenso rückschrittliche Aura umweht wie die Friesen. Faustball ist eins davon.

Wenn man gesteht, Faustballer zu sein, „hat man viel zu erklären“, lächelt Renke Söth. Der Philosophiestudent mit dem struppigen Pferdeschwanz ist Schlagmann und damit der wichtigste Spieler des SZ Ohrstedt. Fünf seiner sechs Mitspieler heißen Hansen. Das muß nicht verwundern. „Hier heißen fast alle Leute Carstensen, Petersen oder Hansen“, weiß man auf dem zuständigen Amt Viöl. Ingo und Rainer Hansen jedoch verbindet viel mehr als der gemeinsame Nachname. Die eineiigen Zwillinge tragen den gleichen schnörkellos geschnittenen blonden Schopf, sie arbeiten als Tischler im gleichen Betrieb und besuchen zusammen die Meisterschule. Das kompakt gebaute, sonnige Duo steht auch am zweiten Bundesliga- Spieltag in der Ohrstedter Abwehr und versucht, die Wucht der langen gegnerischen Schmetterbälle umzulenken und gen Himmel zu neutralisieren. Das gelingt nicht immer. Oft werden die 27jährigen von dem mit farbloser Schuhcreme frisierten Veloursball gen Rasen gedrückt.

Vor vier Jahren sind die fünf Hansens und ihre zwei Mitspieler in die erste Bundesliga aufgestiegen. Seither faustet man in der Region kurz vor Dänemark gegen den Abstieg an. Während der letzten Hallensaison (Oktober bis März) mühten sich die Ohrstedter allerdings vergeblich. „In der Halle entscheidet eben die Technik“, benennt Trainer Hans Pletsch ein Manko seines Teams. Auf dem 1.000-Quadratmeter-Feld dagegen ist echte Maloche gefragt. Die Nordfriesen hegen deshalb durchaus berechtigte Hoffnungen, während der Freiluftsaison (Mai bis August) weiter in jener Liga mitmischen zu können, die Renke Söth für „die beste der Welt“ hält.

In der Nordstaffel der zweigleisigen Bundesliga spielen neben den Ohrstedtern die besten deutschen Teams. Der TSV Hagen hat die sieben letzten Europameisterschaften gewonnen, und die Hannoveraner sind seit drei Jahren deutscher Meister. Obwohl sich 50.000 Deutsche – ein Drittel davon Frauen – regelmäßig mit dem bretthart aufgepumpten Faustball verlustieren, haben auch die erfolgreichsten Mannschaften Nachwuchsprobleme. Denn Faustball ist trotz italienischen Ursprungs untrennbar mit deutscher Traditionspflege verbunden. Und die ist schwer mit DJ Bobo oder Tic Tac Toe in Einklang zu bringen.

In Ohrstedt hingegen kommt man, so will es die Legende, bereits als Faustballer zur Welt. Den meisten Kids bleibt freilich auch nichts anderes übrig: Die Satzung des Sportzentrums verbietet ausdrücklich die Einrichtung einer Fußballabteilung. „Wenn hier Handball und Fußball möglich sind, hat Faustball doch keine Chance“, stellen die alten Kämpen des Vereins ganz richtig fest. Dem Nachwuchs wird die freiwillige Entscheidung allerdings leichtgemacht: „Beim Handballtraining müssen wir 20mal um die Halle laufen, da spiele ich lieber Faustball“, gibt der zehnjährige Christian Militzer zu. Die „Ohrstedter Minis“ (fünf bis zehn Jahre alt) haben es mit geringem Aufwand bereits zu Medaillen gebracht, die größer sind als ihre Handteller. Mit ein wenig Talent fällt es nicht schwer, diese Erfolge im Alter noch zu toppen. Denn wem es gelingt, im Nationalteam zu spielen, der wird fast automatisch Weltmeister. Deutschland hat alle Weltspiele seit 1968 gewonnen. Und obwohl dem Internationalen Faustballverband elf Nationen angehören, faustet auch in Chile, Argentinien oder Namibia fast ausschließlich die deutsche Gemeinde den Ball übers Netz. Deutschtümelnder als in anderen Sportarten geht es beim Faustball, zumindest in Nordfriesland, deshalb nicht ab. Auf den Siegerehrungen bei größeren Turnieren, beispielsweise der deutschen Meisterschaft der Männer über Dreißig, werden auch den Faustballern mit Freddy Mercurys „We are the Champions“ Tränen in die Augen getrieben. Im Süddeutschen allerdings ist es üblich, Pokale mit volksmusikalischer Begleitung zu überreichen. „Das ist eben“, befindet man am Rande der Nordsee trocken, „nicht jedermanns Sache.“

Da die Ohrstedter sich in einer Liga ohne Sendezeit abrackern, gibt es für sie mit dem Sport auch nichts zu verdienen. Alle 18 Erstligisten sind froh, wenn sie die Kosten für Auswärtsfahrten und Trikots erstattet bekommen. Da das kämpferische Ballspiel vor allem auf dem Land praktiziert wird, erbarmen sich in der Regel die ortsansässigen Geschäftsleute.

Neben reichlich Idealismus benötigen Faustballer aber auch einen ausgeprägten Hang zur Treue. Insbesondere für den Schlagmann gibt es keinen Ersatz, weshalb das Spiel schnell zur Lebensaufgabe wird. Als Schlagmannlegende Theo Holst vom Hamburger ETV beschloß, sich nebenberuflich zum Wirtschaftsprüfer weiterzubilden und fortan keine Zeit mehr für den Sport hatte, brauchte das ganze Team gar nicht erst zur neuen Saison anzutreten. Ohne „Theo“ ist man eben chancenlos. Renke Söths Mitspieler Torge Nielsen und die fünf Hansens müssen sich jedoch keine Sorgen machen. Der 27jährige Schlagmann hat vom Faustball noch lange nicht genug.