Militärputsch mit Hintergedanken

■ Der Führer der Putschisten in Sierra Leone hat Verbindungen zum größten Bergbaukonzern des Landes

Berlin (taz) – Der Militärputsch im westafrikanischen Sierra Leone ist komplett. Der 33jährige Major Johnny Paul Koroma hat sich zum neuen Staatschef erklärt. In der Hauptstadt Freetown sind ganze Straßenzüge verwüstet, das Gebäude der Zentralbank wurde in Brand geschossen. Vor allem libanesische Händler sind Zielscheibe von Angriffen. Ausländische Organisationen vermissen nach den Plünderungen durch Soldaten ihre Autos, und das große Gefängnis Pademba Road ist leer.

Dort hatte der neue Präsident Koroma selber gesessen – einer von etwa 20 Militärs, die wegen eines Putschversuches im vergangenen September inhaftiert waren. 60 Soldaten unter Führung eines Kaporal Gborie fuhren am Sonntag früh auf Lastwagen in Pademba Road vor und befreiten nicht nur ihre Kameraden, sondern alle 579 Häftlinge, von denen einige hundert in Uniformen gesteckt und zur Armeekompanie erklärt wurden. Dann fuhr die Truppe zur Rundfunkstation und verkündete ihren Putsch.

Soldaten aus Nigeria, die zum Schutz der Regierung von Präsident Ahmed Tejan Kabbah in Freetown stationiert sind, zogen sich am Abend nach Straßenkämpfen in ihre Kasernen zurück. Gestern kontrollierten die Nigerianer noch den Flughafen. Präsident Kabbah, so wird berichtet, verließ das Land mit einem 62-Karat-Diamanten Richtung Guinea. Im Rundfunk erklärten die Putschisten: „Der Krieg ist vorbei.“

Seit 1991 hatte im bitterarmen Sierra Leone Bürgerkrieg geherrscht. Kämpfe zwischen Regierungsarmee, Rebellen der Vereinigten Revolutionären Front (RUF) und Privatmilizen trieben zeitweise die Hälfte der vier Millionen Einwohner in die Flucht. 1992 und 1996 hatten unzufriedene Soldaten geputscht. Im März 1996 übergab die Armee schließlich die Macht an den demokratisch gewählten Präsidenten Kabbah, der am 30. November mit der RUF Frieden schloß.

Der Frieden blieb nur von kurzer Dauer. RUF-Führer Foday Sankoh wurde im März in Nigeria verhaftet – er lebt dort in einem Luxushotel unter Hausarrest. Einzelne Rebelleneinheiten nahmen den Kampf wieder auf; gegen sie schickte Präsident Kabbah aus Mißtrauen gegen die Armee vor allem traditionelle Stammesmilizen in den Krieg, die sogenannten Kamajors. Die Militärs fühlten sich vernachlässigt. Gegenüber AFP sagte ein Politiker: „Waffen und Nachschub gingen vor allem an die Kamajors, und die Militärs mochten nicht, daß ihre Reisrationen schrumpften.“ Nachdem Mitte Mai RUF-Truppen zum erstenmal wieder eine Stadt besetzten, kritisierte das Parlament lautstark die Armee und forderte die Legalisierung von Privatmilizen. Es folgte der Putsch. Als erste Maßnahme verkündeten die Putschisten die Auflösung der Kamajors.

Major Koromas Machtergreifung hat aber womöglich noch andere Hintergründe. Koroma kommandierte früher ein Wachbataillons der Mine Moyamba, östlich von Freetown, im Besitz von Sierra Rutile. Die US-australische Firma ist der Wirtschaftsgigant des Landes. Ihre Investitionen von 100 Millionen Dollar in die Förderung von Bauxit und Rutil stellen ein Sechstel des Bruttosozialprodukts dar. Anfang 1995 stellte der Konzern seine Aktivitäten wegen des Bürgerkriegs ein. Die meisten der 1.800 einheimischen Angestellten schlossen sich der RUF an, zum Teil in hohen Positionen. Vielleicht nicht zufällig erfolgte die Neuaufnahme des Krieges durch die RUF jetzt, nachdem die geplante Wiederaufnahme der Aktivitäten von Sierra Rutile im März scheiterte. Nun regiert der ehemalige Wachkommandant von Sierra Rutile – und er hat Nigeria aufgefordert, RUF-Führer Sankoh herauszurücken, damit dieser in die Regierung eintritt. Dominic Johnson