Chef der Estonia-Kommission: „Ich habe gelogen“

■ Havarie-Kommissar zurückgetreten. Er wußte von einem Brief der schwedischen Regierung, die die Kontrolle der Bugklappen an eine Privatfirma abgegeben hatte

Berlin/Stockholm (taz/dpa) – Der Chef der schwedischen Kommission zur Untersuchung des Estonia-Unglücks, Olof Forssberg, ist gestern zurückgetreten. Zuvor hatte er zugegeben, daß er bei wichtigen Sicherheitsfragen öffentlich gelogen hat. In einem Interview mit dem schwedischen Rundfunk gab Forssberg zu, daß er die Existenz eines Behördenbriefs geleugnet hatte, wonach Schwedens Schiffahrtsaufsicht seit mehreren Jahren nicht mehr die Anbringung vorgeschriebener Sicherheitswände auf dem Autodeck von Fähren kontrolliert. Die schwedische Regierung hat demnach die Kontrolle an eine Klassifizierungsgesellschaft übertragen. Diese Gesellschaften überprüfen üblicherweise die Sicherheit von allen auf Schiffen verwendeten Materialien und Teilen. Dem Vernehmen nach haben die privaten Prüfer der Estonia die Bugklappen jedoch nicht kontrolliert. Die schwedischen Behörden wiederum haben sich laut Forssbergs Aussage nicht um die Klassifizierungsgesellschaft gekümmert.

Forssberg habe sich an einen Journalisten des Rundfunks gewandt, da „er nicht länger mit der Lüge leben wollte“. Er entschuldigte sich für seine „verfluchte Dummheit mit den Lügen“. Bislang sei „nur versucht worden, die Interessen des schwedischen Staates zu schützen“, sagte der deutsche Anwalt der Hinterbliebenen, Henning Witte. „Die ganze Untersuchung muß neu aufgerollt werden.“ Die konservative Opposition schätzte das Verhalten der Regierung zur Aufklärung der Havarie als „äußerst passiv“ ein. Forssbergs Äußerungen werden zudem die Arbeit der Havarie-Kommission belasten. Im Juni wollte sie in der estnischen Hauptstadt Tallinn ihren immer wieder aufgeschobenen Abschlußbericht über das größte Unglück der europäischen Nachkriegsgeschichte vorstellen. Dieser Termin dürfte hinfällig sein.

Das Fährschiff „MS Estonia“ mit mehr als 1.000 Menschen an Bord war am 28. September 1994 untergegangen. 852 Menschen starben. Durch ein defektes Bugvisier waren große Mengen Wasser ungehindert ins Autodeck eingedrungen. ufo