Der intellektuelle Stammtisch

■ Tumulte und Verbote: Notizen zur Lesung aus dem Bier-Lexikon

Nüchtern betrachtet, gibt es keinen Grund zuzuhören, wenn jemand aus einem Lexikon vorliest. Um Jürgen Roth und Michael Rudolf zu hören, fanden sich dennoch am Dienstag zahlreiche BesucherInnen im Magazinkeller des Schlachthofes ein. Schließlich ging es um ein Nachschlagewerk der besonderen Art. Es ging um „Bier! – Das Lexikon.“

Es war nicht nur die Aussicht auf ungestörtes Trinken, die die überwiegend männlichen Zuhörer angelockt hatte. Denn seit dem vergangenen Donnerstag ist die Verbreitung des bei Reclam erschienenen Lexikons verboten. Die hessische Brauerei Licher klagt gegen die Autoren, weil im Buch das Gerücht erwähnt wird, die Brauerei unterstütze „die Reps und anderes Pack finanziell“. Belegen können die Autoren das nicht, und so bot sich bei der Lesung die vielleicht letzte Gelegenheit, diese Passage zu hören oder gar ein Buch ohne Einschwärzung der inkriminierten Stelle zu erwerben.

Für weiteren Zündstoff war gesorgt, weil Roth und Rudolf die Bremer Bierkultur in ihrem Promille-Alphabet größtenteils mit Nichtachtung gestraft hatten. Kein Kräusen, kein Haake-Beck und kein Hemelinger hatte in die Enzyklopädie der beiden Titanic-Autoren Eingang gefunden. Schlimmer noch: Über Beck's war schlecht geschrieben worden. „Nicht so recht pilsig, auch ohne rechten Schwung“, heißt es im Bier-Lexikon. Um gegen diese Zeilen zu protestieren, hatten Lokalpatrioten die Wand hinter den Autoren mit den Etiketten des Flaggschiffs der Bremer Braukunst gepflastert.

Roth und besonders der gelernte Brauereimeister Rudolf prosteten angesichts eines ebenfalls mit Beck's-Reklame geschmückten Mikrophons demonstrativ mit ihrem Lieblingsbier Flens. Während Rudolf mit Kenner- und Genießerblick und kräftigem Schluck eine Bügelflasche nach der anderen leerte, nippte Roth nur und geriet bald ins Hintertreffen. Dem Vortrag des Gespanns trat diese Zweiteilung in Wüstling und Beschwichtiger nur gut, denn selbst ein Lexikon über Bier läßt sich nur als Stichwort-Pingpong rezitieren. Es begann ein Trommelfeuer von Urteilsfetzen, doch was nach Ansicht der Autoren trinkenswert sei, ging in den rasanten Verbaldoppelpässen unter.

Nachdem Bierforscher Rudolf den Flens-Selbstversuch lange genug betrieben hatte, verlegte er sich auf das freie Erzählen: In der Brauerei-Gaststätte Schüttinger sei man im Lauf des Tages zu Recherchezwecken eingekehrt. „Wir wollten Bremen noch eine Chance geben“, sagte Rudolf und zog das Fazit: „Ich will man des lieben Friedens willen sagen: eingeschränkt empfehlenswert.“Die Stimmung kippte. Da half es nicht, daß Roth zur Schlichtung vom Chaostage-Trunk Lindener aus Hannover erzählte und konsenssuchend ein Kölsch verriß. Rudolf war in Fahrt gekommen, verlas, von Promillen enthemmt, die Beck's-Kritik und wurde dafür mit einem Schwall von Schmähungen belohnt. So schwelgten die beiden Autoren in ihren von fremdwortseligen Biererinnerungen, und die trotz allem exzellent unterhaltene Zuhörerschaft schwelgte mit. Für das Lexikon wie für das Trinken gilt: In der Gemeinschaft ist der Genuß am Größten. Lars Reppesgaard