Das Portrait
: Couragierte Frau mit viel Sinn für Realität

■ Eva-Maria Stange

Eva-Maria Stange, die neue GEW-Chefin Foto: AP

Sie hatte den Schreck noch gar nicht verdaut, und schon war sie dran. „Stell dich“, raunten ihr die Kollegen zu, „wir wählen dich!“ Gerade hatten die Delegierten des Gewerkschaftskongresses den altgedienten Vorsitzenden Dieter Wunder gestürzt. Ohne Vorwarnung und ohne direkte Auseinandersetzung. Alle rieben sich noch die Augen, und keiner wollte es gewesen sein. Und bevor die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft führungslos abzutreiben drohte, sollte sie ans Ruder. Lieber eine Ostdeutsche als gar niemand.

„Es ist ein gutes Gefühl“, sagt Eva-Maria Stange. Mittlerweile seien 44 Prozent der GEWler aus dem Osten. „Endlich können wir in den Strukturen besser mitarbeiten.“ Die Kandidatin aus Not findet rasch zu einer pragmatischen Erklärung. Die 40jährige Dresdnerin ist als ausgesprochene Realistin bekannt. Im Februar vereinbarte sie als GEW-Vorsitzende von Sachsen, daß Grundschullehrer vom Schuljahr 1999/2000 an nur noch mit 57 Prozent teilzeitbeschäftigt werden, ohne Lohnausgleich. Sinkende Schülerzahlen bereiten Eva-Maria Stange Sorgen sowie der miese Ruf der integrierten Gesamtschule, „die zur Restschule verkommt“.

Bis 1993 unterrichtete Eva-Maria Stange an einem Gymasium in Dresden. Ein Anflug von Wehmut schwingt mit, wenn sie an diese Zeit denkt: „Die Kinder fehlen mir und der direkte und ungeschminkte Kontakt zu den Kollegen.“ Jetzt ist sie Funktionärin. Doch nicht wider Willen. Und auch nicht auf Lebenszeit, wie ihr Vorgänger, der 16 Jahre lang im Amt war. Maximal 8 Jahre, also zwei Wahlperioden, will sie aushalten. Politisch hat sie ein schweres Leben vor sich. Zwar sehnen sich viele Delegierte nach einer handfesten Kapitalismuskritik, doch die kriegen sie von Eva-Maria Stange nicht. Wie der geschaßte Wunder hat auch sie das politisch Machbare vor Augen. Wunder aber hielt zu lange an alten GEW-Denkmustern fest. „Er hat sich bei Themen gewunden und Konflikte zugedeckt.“ Da verspricht die Stange mehr Courage zu zeigen: „Konflikte muß man angehen, ohne zu beschönigen.“

Einen ähnlichen Satz mußte sich wohl auch ihr Mann vorgestern am Telefon anhören, als sie ihm sagte, sie sei jetzt GEW-Chefin. „Begeistert war er nicht.“ Kinder und Haushalt müßten eben neu geordnet werden, hat sie geantwortet. „Da muß eben auch ein Mann mit ran.“ Annette Rogalla