„I love you all people“

■ Bremen im Jackson-Fever: 5.000 Fans und Schaulustige feierten Jacko und Scherf

Was für ein Programm. Mittags, kurz nach eins, Verpackungskünstler Christo, der Mann, der den Reichstag verhüllte, überquert die Martini-Straße und drückt seine rothaarige Frau Jeanne-Claude fest an seine Seite. Die beiden sind offenbar auf dem Weg ins Neue Museum Weserburg. Ein paar hundert Meter weiter, auf dem Markplatz, ist die Hölle los. 5.000 Menschen sind gekommen, um Michael Jackson zu sehen.

Der King of Pop hat sich zu Kaiser Karl und den sieben Kurfürsten gesellt: Auf dem Balkon des von 1405 bis 1409 erbauten Rathauses stehen mannshohe Lautsprecher zwischen den Sandsteinfiguren. „Blood on the dancefloor“(Blut auf der Tanzfläche) dröhnt über den Platz. Eisengitter, Polizisten und muskelbepackte Security-Leute halten die Fans auf Abstand. Auch der Weg in die Untere Rathaushalle, in der wenige Stunden vorher die Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“eröffnet wurde, ist abgesperrt. Nur noch ein paar Besucher stehen vor den Fotowänden. „Da kannst du ja nachts nicht mehr schlafen, wenn du dir das zu lange ansiehst“, sagt eine ältere Frau zu ihrem Mann, der sich ein Foto mit der Nummer 14 ansieht: „Hinrichtung der 17jährigen Lepa Radic in Bosanska Krupa, Bosnien, Januar 1943“, steht unter dem Bild. Jacksons Bässe hämmern an den Mauern. „Rein kommt hier niemand mehr“, sagt der junge Mann vom Sicherheitsdienst. „Heute morgen war es brechend voll. Aber die Polizei hat die Zufuhr abgeschnitten. Wer jetzt drin ist, darf bleiben, bis Michael Jackson kommt. Dann müssen die Leute raus.“Doch Michael Jackson läßt sich Zeit. Etwa 100 Journalisten warten gegen 14.30 Uhr in der Oberen Rathaushalle auf den Weltstar. Bürgermeister Henning Scherf (SPD) geht vor der Absperrung auf und ab, wippt im Takt zur Musik. Hinter ihm steht der Tisch, auf dem das Goldene Buch der Stadt liegt. Der Tisch ist mit einem weißen Tuch bedeckt, das fast bis zum Boden reicht. Links und rechts stehen zwei Blumengestecke: Rote Nelken und weiße Margeriten. Dazwischen ist das das silberne Tintenfaß aufgebaut. Der Tourmanager stürzt in regelmäßigen Abständen zur Tür hinein. 20 Minuten Verspätung. 15 Minuten noch. Gleich kommt er. Jetzt sitzt er im Auto. Sie sind losgefahren.

Kurz darauf ertönen die Blaulichtsirenen. Michael Jackson fährt mit Polizeieskorte in einem roten Mercedes-Kombi durch die Obernstraße. „Michael, Michael“, kündigen die Fans den Pop-Star an. Scherf lacht und streicht sich gedankenverloren einen Fussel von seinem dunkelblauen Anzug. Ein bulliger, schwarzer Body-Guard platzt durch die Tür, dicht gefolgt von einem zweiten Muskelmann. Plötzlich steht der kleine Michael Jackson vor Henning Scherf. Der Weltstar scheint überrascht zu sein, wie groß der Bürgermeister Bremens ist. Jackson hüpft kurz hoch, dann schüttelt er Scherf die Hand. Jackson trägt einen schwarzen Anzug mit einem roten Streifen am Arm, schwarze spitze Schuhe, einen schwarzen Hut und keinen Mundschutz. Scherf geleitet den Gast zum Tisch. Jackson zückt den goldenen Füller und schreibt ins Goldene Buch der Stadt: „I love you all people by my heart, mind and soul, honestly yours Michael Jackson.“Scherf sieht seinem Gast über die Schulter und strahlt.

Jackson steht auf. Die Saaldiener bringen ihm das Geschenk: Die moderne Interpretation der Bremer Stadtmusikanten von einem De-

signer. Scherf lächelt und erklärt dem Star offenbar die Bedeutung des Kunstwerks. Jacksons Gesicht wirkt maskenhaft, er blickt freundlich, verzieht aber keine Miene. Seine Augen sind schwarz umrandet, die Lippen rot. Scherf zeigt auf das riesige Ölgemälde an der Wand und erklärt weiter. Was er dem Star erzählt, versteht man nicht. Scherf deutet mit der Hand in Richtung Balkon. Draußen warten die Fans.

„Michael, Michael“, schreien die Mädchen, Jungen, Frauen und Männer vor den Eisengittern. Ein kleiner Junge ist von der Menschenmenge soweit ans Gitter gedrückt worden, daß er sich nicht mehr bewegen kann. Seine Augen sind weit aufgerissen. Die ältere Frau neben ihm hält sich mit beiden Händen an den Gitterstäben fest. Selbstbemalte Fahnen und Plakate wehen im Wind. „Michael, Michael“, schreit die Menge. Doch der Popstar läßt sich nicht blicken. Er schickt einen seiner Mitarbeiter vor. Der Mann, der einen silber-blauen Anzug trägt, macht eine einladende Handbewegung. Die Fans sollen lauter schreien. „Michael, Michael“, kreischen die Fans. Doch der Mann ist noch nicht zufrieden. Wild fuchtelt er mit den Händen vor seinem Gesicht rum. „Michael, Michael“, rufen die Fans. Jacksons schwarzer Anzug ist zu sehen. Die Fans kreischen. Jacksons steht auf dem Balkon und winkt. Ohrenbetäubendes Gekreische. „Michael, Michael“, schreien die Mädchen. Ihre Stimmen überschlagen sich. Henning Scherf ergreift das Mikrophon: „Dear Mister Jackson“, sagt er. „Thanks for coming. Have a good time here.“„Wie geht es Dir“, antwortet Jacko und: „Ich liebe di..“. Knapp vier Minuten winkt Jacko seinen Fans, dann verschwindet er wieder im Rathaus.

Die untere Rathaushalle ist inzwischen geräumt. Jacko will die Stadtmusikanten streicheln und braucht freie Bahn. Der Rathauskeller ist gerammelt voll. Dicht gedrängt stehen die Gäste vor der Tür. Fast scheint es, als wolle der Keller seine Besucher ausspucken. Doch das wird von einer zierlichen, blonden Frau verhindert. Mit ausgebreiteten Armen – die eine Hand in der Türklinke verkrallt, die andere in einem Haken in der Hauswand – versperrt sie den Ausgang. Jacko kommt im Laufschritt aus der Unteren Rathaushalle. Er trägt einen schwarzen Mundschutz. Die Fans schreien. Scherf und Jackson postieren für Fans und Fotografen. Jacko steigt die Stufen zu den Stadtmusikanten hinauf. Scherf folgt ihm. Oben geben sich die beiden Prominenten die Hand. Hand in Hand steigen Scherf und Jackson die Stufen wieder hinab. „Michael, Michael“. Die Fans schreien. Ein Mädchen hält dem Star ein buntgemustertes Buch entgegen. Jackson zeigt in die Menge. Der Mann in silber-blau zieht die Kleine aus der Menge. Das Mädchen taumelt auf Jacko zu. Jackson umarmt sie und schreibt seinen Namen ins Buch. Der Silber-blaue sucht ein zweites Mädchen aus. Auch sie bekommt ein Autogramm und wird umarmt. Strahlend stolpern die beiden zurück zu ihren Freundinnen, die ihnen sofort die Bücher aus der Hand reißen. Die Body-Guards drängen sich um Jackson. Eingebettet in einen Troß von Muskelmännern steigt Jacko in seinen dunkelroten Kombi. Die Wagen-Kolonne setzt sich in Bewegung. Die Fans schreien. Bürgermeister Scherf ist verschwunden. Es ist kurz vor 15 Uhr. Er hat noch einen Termin im Rathaus. Christo, der Mann, der den Reichstag verhüllte, soll sich gleich ins Goldene Buch der Stadt eintragen. Was für ein Programm.

Kerstin Schneider